Robert Klatt
Ein neues Verfahren lässt Gelähmte über ihre Gedanken, die von einem Gehirn-Implantat erfasst werden, deutlich schneller schreiben. Der alte Geschwindigkeitsrekord im Schreiben per Gehirn wurde mehr als verdoppelt.
Stanford (U.S.A.). Krankheiten wie amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Verletzungen der Halswirbelsäule, Querschnittslähmung und eine Vielzahl weiterer Ursachen können dazu führen, dass Menschen, die bei vollem Bewusstsein sind, nicht mehr sprechen können. Inzwischen können Gehirn-Computer-Schnittstellen diesen Personen helfen wieder mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren. Dafür werden entweder Elektroden auf die Kopfhaut geklebt oder Gehirn-Implantate verpflanzt, die die Signale des Gehirns aufzeichnen.
Bisher mussten sich Patienten dazu vorstellen, dass sie die Buchstaben auf einem Bildschirm anklicken. Wissenschaftler der Standford University haben nun eine Lösung entwickelt, bei der sich der Patient lediglich vorstellen muss, dass er Buchstaben mit seiner Hand schreibt. Die neue Technologie ist laut ihrer Publikation im Fachmagazin title="Nature" deutlich schneller bei Umwandlung von Gedanken in Text als bisherige Lösungen.
„Wir haben festgestellt, dass komplizierte Bewegungen, die wechselnde Geschwindigkeiten und gekrümmte Bahnen wie Handschrift beinhalten, von unseren Algorithmen der künstlichen Intelligenz leichter und schneller interpretiert werden können als einfachere Bewegungen, wie das Bewegen eines Cursors auf einem geraden Weg mit gleichmäßiger Geschwindigkeit. Die Buchstaben des Alphabets sind so verschieden voneinander, dass die Signale für den Computer leichter zu unterscheiden sind“, erklärt Francis Willett.
Als Proband der Studie diente ein 65-jähriger Mann, der durch eine Rückenmarksverletzung seit mehr als zehn Jahren vom Hals abwärts gelähmt ist. In einer früheren Studie wurden ihm bereits zwei Implantate mit jeweils 100 Elektroden ins Gehirn implantiert. Diese zeichnen die Signale des motorischen Kortex, also der Region, die die Handbewegungen kontrolliert, auf. Die nun erprobte Technologie verwendet dieselben Elektroden.
Zu Beginn der Studie trainierte der Proband die Künstliche Intelligenz (KI), indem er sich mehrfach vorstellte vorgegebene Buchstaben händisch auf einem imaginären Notizblock zu schreiben. Die KI lernte so, welche Signale der Neutronen für welchen Buchstaben stehen. Im eigentlichen Versuch schrieb der Proband dann eine Reihe von Sätzen ab, die die KI zuvor nicht kannte. Dies gelang im Vergleich zu bisherigen Technologien mit hoher Geschwindigkeit. Pro Minute konnte der Proband rund 90 Zeichen wiedergeben. Dies entspricht etwa der Geschwindigkeit, die Gleichaltrige beim Tippen auf einem Smartphone erreichen. Mit der Vorgängertechnologie erreichte der Proband 2017 den bisherigen Geschwindigkeitsrekord im Schreiben per Gehirn von 40 Zeichen pro Minuten.
Die Geschwindigkeit war auch beim freien Schreiben deutlich höher als mit der alten Technologie. Beim Abschreiben von Sätzen kam es lediglich zu einer Fehlerquote von einem falsch erkannten Buchstaben pro 18 Zeichen, beim freien Schreiben lag die Fehlerquote bei einem falsch erkannten Buchstaben pro 11 Zeichen. Eine Autokorrekturfunktion konnte die Fehlerquote beim Abschreiben auf ein Prozent und beim freien Schreiben auf zwei Prozent reduzieren. Dies sind im Vergleich zu bisherigen Hirn-Computer-Schnittstellen sehr geringe Fehlerquoten.
„Diese Studie zeigt, dass das Gehirn seine Fähigkeit behält, feine Bewegungen zu beschreiben – ein ganzes Jahrzehnt, nachdem der Körper seine Fähigkeit verloren hat, diese Bewegungen auszuführen“, konstatiert Willett.
Weitere Studien sollen die Technologie in der Zukunft mit Probanden erproben, die durch Verletzungen oder Krankheiten ihre Fähigkeit verloren haben, sich zu bewegen oder zu sprechen. „Ein wichtiges Ziel unserer Forschung ist die Wiederherstellung einer schnellen, intuitiven Kommunikation für Menschen mit schweren sprachlichen oder motorischen Beeinträchtigungen. Die Demonstration der schnellen, präzisen neuronalen Dekodierung von Handschrift markiert ein aufregendes neues Kapitel in der Entwicklung von klinisch nützlichen Neurotechnologien“, erklärt Co-Autor Leigh Hochberg von der Brown University in Rhode Island.
Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03506-2