Moral-Netzwerk

Gehirnschäden können kriminelles Verhalten des Menschen begünstigen

Robert Klatt

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Wissenschaftler haben belegt, dass Schäden am Moral-Netzwerk des Gehirns das Risiko für kriminelles und gewalttätiges Verhalten beim Menschen stark erhöhen können.

Boston (U.S.A.). Neurologen und Kriminologen vermuten schon seit langem, das Anomalien und Schäden des Gehirns dazu führen können, dass Menschen unmoralisch handeln und sogar zu Kriminellen werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der US-Amerikaner Phineas P. Gage, dessen Frontallappen des Gehirns 1848 bei einem Arbeitsunfall von einem Eisenbolzen durchbohrt wurde. Obwohl die körperlichen Folgen des Unfalls und auch die intellektuellen Fähigkeiten laut Aussagen seines Arztes John D. Harlow bereits nach wenigen Wochen wieder vollständig hergestellt waren, veränderte sich das Verhalten des Mannes von einer eher freundlichen und ausgeglichen Person zu einem kindischen und impulsiv handelnden Menschen. Inzwischen bezeichnet die Medizin diese Krankheit, die Gaga zu einem Soziopathen machte als Frontalhirnsyndrom.

Noch erstaunlicher ist der Fall des Serienmörders Charles Whitman, der 31 Menschen verletzte und 16 Menschen tötete. Nach seinem Tod fanden Ärzte, die das Gehirn von Whitman untersuchten einen außerordentlichen großen Tumor in seinem rechten Scheitellappen. Ob dieser Tumor das kriminelle Verhalten von Whitman ausgelöst hat und ihn zu seinen Gewalttaten getrieben hat, ist bisher ungeklärt. Bei der Untersuchung weiterer Gehirne gewalttätiger Krimineller wurden zwar auch Schäden festgestellt, jedoch in anderen Gehirnarealen. Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob kriminelles und gegebenenfalls sogar extrem gewalttätiges Verhalten durch Hirnschäden ausgelöst werden kann, konnte die Wissenschaft bisher nicht bringen.

17 Gehirne von Kriminellen untersucht

Wissenschaftler des Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC), das zur Harvard Medical School gehört, haben aus diesem Grund 17 Gehirne von Menschen untersucht, die erstmalig nach einer Hirnverletzten Straftaten begangen. Laut Studienleiter Ryan Darby „haben die meisten dieser Patienten Gewalttaten wie Mord, Körperverletzung oder Vergewaltigung begangen.“

Untersucht haben die Wissenschaftler ob Hirnschäden vorlagen und welche Neuronen genau betroffen waren. Dazu suchten die Forscher nach Verknüpfungen zwischen Gehirnregionen, die räumlich weit voneinander entfernt liegen können und die bei kriminellen Menschen auf eine andere Weise zusammenarbeiten als bei nicht kriminellen Personen. Vorherige Studien haben bereits belegt, dass auch weit voneinander entfernte Hirnareale bei bestimmten Aufgaben zusammenarbeiten.

Gleiches Netzwerk betroffen

Laut der im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences publizierten Studie zeigten die Probanden Hirnschäden in ganz unterschiedlichen Arealen. Eine anschließende Netzwerkanalyse zeigte aber, dass zwischen den geschädigten Bereichen funktionale Verknüpfungen bestehen. Wie Darby erklärt „haben die Wissenschaftler festgestellt, dass dieses Netzwerk bei gesunden Menschen an moralischen Entscheidungen beteiligt ist.“

Betroffen waren unter anderem Hirnareale im vorderen Schläfenlappen, dem Belohnungszentrum des Gehirns im Nucleus accumbens und der präfrontale Cortex. Wie Darby berichtet „sind die mit kriminellen Verhalten assoziierten Läsionen damit funktionell mit Regionen verknüpft, die für wertebasierte Entscheidungen und das sich Hineinversetzen in andere Menschen zuständig sind aber nicht aber mit Empathie und kognitiver Kontrolle.“ Auch eine weitere Untersuchung mit 23 kriminellen Neurologie-Patienten zeigte Schäden an demselben Hirnnetzwerk.

Gehirnschäden machen Menschen nicht automatisch kriminell

Laut Darby „können die Ergebnisse helfen zu verstehen, wie Störungen der Hirnfunktion zu kriminellem Verhalten beitragen können.“ Die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden sollten die Ergebnisse aber nicht zur Vorhersage von kriminellem Verhalten überbewerten. Neben der Hirnläsion tragen auch die Erziehung, die Genetik und zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale dazu bei, ob ein Mensch in seinem Leben gewalttätig oder anderweitig kriminell wird. Die Wissenschaftler konstatieren daher, dass „solche Hirnläsionen das Risiko für kriminelles Verhalten erhöhen können, sie aber nicht als unausweichliche oder einzige Ursache dafür interpretiert werden sollten.“

Auch die Schuldfähigkeit kann laut Darby „durch die bloße Präsenz einer Hirnläsion“ nicht geklärt werden, weil es sich dabei um eine Frage handelt, die „letztlich die Gesellschaft entscheiden muss.“

Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.1706587115

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