Robert Klatt
Das Gehtempo ermöglicht Rückschlüsse auf das biologische Alter eines Menschen, das oft erheblich vom chronologischen Alter abweicht. Langsamgeher besitzen einen schlechteren physischen Zustand und damit ein höheres biologisches Alter. Außerdem liegt der IQ von Schnellgehern im Durchschnitt 16 Punkte oberhalb der Langsamgeher.
Durham (U.S.A.). Das biologische und das chronologische Alter eines Menschen weichen häufig mehrere Jahre voneinander ab. Ausgelöst wird dies durch unterschiedliche Veranlagungen, Krankheiten aber auch Lebensgewohnheiten wie Rauchen, starker Alkoholkonsum und Bewegungsmangel. Bestimmt werden kann das biologische Alter entweder durch Tests der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit aber auch durch verschiedene Biomarker, die es wie im Fachmagazin Frontiers in Aging Neuroscience beschrieben, beispielsweise ermöglichen das wahre Alter anhand einer Substanz im Urin abzulesen.
Laut Wissenschaftler der Duke University soll bereits ein Blick auf das Gehtempo eines Menschen Rückschlüsse auf den biologischen Altersprozess ermöglichen. Line Rasmussen, Autorin der im Fachmagazin JAMA Network Open veröffentlichten Studie erklärt, dass „das Gehtempo im geriatrischen Umfeld schon länger als schnelle, einfache und verlässliche Methode genutzt wird, um die funktionellen Fähigkeiten eines älteren Menschen einzuschätzen.“ Bisher hatte die Wissenschaft aber noch nicht untersucht, ob das Gehtempo auch bei relativ jungen Menschen das biologische Alter verrät.
Die Wissenschaftler um Rasmussen haben aus diesem Grund Gesundheitsdaten von 900 45-jährige Männer und Frauen analysiert, die als Teil einer neuseeländischen Langzeitstudie seit ihrer Geburt regelmäßig untersucht wurden. Im Zuge der Studie der US-Universität haben die Probanden bei ihrer normalen Gehgeschwindigkeit auf einem Laufband eine Denkaufgabe gelöst. Anschließend sollten sie noch ihr maximales Gehtempo auf einem Laufband demonstrieren, ohne dabei anzufangen zu rennen.
Außerdem analysierten die Forscher noch das biologische Alter der Probanden mithilfe von 19 Biomarkern, darunter die Herzleistung, das Atemvolumen, der Zahnzustand und eine Reihe von Blutwerten. Die geistige Leistungsfähigkeit wurde anhand eines standardisierten Intelligenztests bewertet. Überdies erfolgte auch ein Hirnscan aller Probanden.
Die Auswertung der Studiendaten zeigt deutlich, dass eine Korrelation zwischen dem biologischen Alter der 45-Jährigen und ihrem Gehtempo besteht. Laut Rasmussen „war ein langsamer Gang mit einem schlechteren physischen Zustand im mittleren Alter verbunden.“ Konkret bedeutet dies, dass die Probanden mit dem langsamsten Gang in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt fünf Jahre schneller gealtert sind als die Probanden mit dem schnellsten Gehtempo. Festgestellt wurden die Differenzen im biologischen Alter sowohl am Zustand der inneren Organe, als auch an den Zähnen und der Muskelkraft sowie an Stoffwechselmarkern.
Überraschenderweise erlaubt das Gehtempo nicht nur Rückschlüsse auf das biologische Alter, sondern auch auf die Alterung des Gehirns und die geistige Leistungsfähigkeit. Probanden, die einen sehr langsamen Gang hatten, hatten im Durchschnitt ein kleineres Hirnvolumen und mehr Schädigungen in der Weißen Hirnsubstanz. Laut den Wissenschaftlern sind diese Eigenschaften mit der kognitiven Leistungen und der Intelligenz verknüpft. IQ-Tests zeigten außerdem, dass Schnellgeher im Durchschnitt 16 Punkte mehr erreichen als Langsamgeher.
Welche Prozesse dafür sorgen, dass das biologische und geistige Alter sich so stark in der Gehgeschwindigkeit widerspiegeln ist noch nicht klar. Wie Rasmussen erklärt, „ist das Verblüffende daran, dass es hier um erst 45 Jahre alte Menschen geht, nicht um die geriatrischen Patienten, die normalerweise daraufhin getestet werden.“ Laut den Wissenschaftler „könnte das Gehtempo ein nützlicher Indikator sein, wenn es darum geht, den Ausbruch altersbedingter Erkrankungen zu vermeiden.“ Ein frühzeitiges Eingreifen und eine Änderung der Lebensweise könnte das beschleunigte Altern nämlich wieder reduzieren und so altersbedingten Schäden vorzubeugen.
JAMA Network Open, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2019.13123