Robert Klatt
Die Behandlung von Angststörungen ist bisher problematisch. Nun wurde ein Gen entdeckt, dass im Gehirn Angstzuständen reguliert. Dies eröffnet neue Ansätze für die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Angststörungen.
Bristol (England). Laut Daten der Stiftung Gesundheitswissen sind Angststörungen in Deutschland weitverbreitet. Etwa neun Prozent der Männer und 21 Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren erleiden innerhalb eines Jahres eine Angststörung. Zudem leiden 15 Prozent der Frauen und fünf Prozent der Männer unter einer spezifischen Angststörung (Phobie), also eine Angststörung, die durch einen bestimmten Auslöser gekennzeichnet ist.
Starke seelische Belastungen können genetische, biochemische und gestaltliche Veränderungen in den Neuronen der Amygdala, einer Gehirnregion, die für Stress-assozierte Angstzustände verantwortlich ist, hervorrufen. Diese Prozesse können zur Entstehung verschiedener Angststörungen beitragen, darunter Panikattacken und posttraumatische Belastungsstörungen.
Dennoch ist die Effektivität der gegenwärtig auf dem Markt verfügbaren Medikamente zur Angstbehandlung begrenzt, da über die Hälfte der behandelten Patienten keine vollständige Besserung erfahren. Der begrenzte Erfolg in der Entwicklung wirksamer angstlösenden Medikamente resultiert aus unserem unzureichenden Verständnis der neuronalen Netzwerke, die Ängste steuern, und der molekularen Prozesse, die zu stressbezogenen neuropsychiatrischen Zuständen führen.
Wissenschaftler der University of Bristol haben deshalb eine Studie durchgeführt, die untersucht hat, welche molekularen Prozesse im Gehirn Angstzuständen zugrunde liegen. Dabei konzentrierten sie sich auf eine Gruppe von Molekülen, sogenannte miRNAs, die in Tiermodellen untersucht wurden. Diese Molekülgruppe, die ebenfalls im menschlichen Gehirn vorhanden ist, reguliert diverse Zielproteine, die zelluläre Abläufe in der Amygdala steuern.
Im Anschluss an eine intensive Stresssituation konnten die Forscher laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Communications in der Amygdala von Mäusen eine Zunahme eines bestimmten Moleküls, das als miR483-5p bekannt ist, feststellen. Bemerkenswert dabei ist, dass eine erhöhte Präsenz von miR483-5p dazu führt, dass die Aktivität eines anderen Gens, Pgap2, reduziert wird. Dieses Gen induziert wiederum Veränderungen in der neuronalen Struktur des Gehirns sowie verhaltensbezogene Veränderungen, die mit Angst assoziiert sind. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass miR-483-5p als molekularer Regulator wirkt, der stressinduzierte Veränderungen in der Amygdala ausbalanciert und so zur Linderung von Angst beiträgt.
Die Aufdeckung eines neuen Signalwegs in der Amygdala, bestehend aus miR483-5p und Pgap2, durch den das Gehirn auf Stress reagiert, ist ein erster wichtiger Schritt zur Entwicklung neuer, wirksamer und dringend benötigter Therapien zur Behandlung von Angststörungen, welche diesen Signalweg verstärken.
Wie Dr. Valentina Mosienko erklärt, kann Stress den Beginn mehrerer neuropsychiatrischer Zustände auslösen, die auf eine schädliche Kombination von genetischen und Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Das Gehirn kann geringfügigen Stress durch seine natürliche Anpassungsfähigkeit ausgleichen, aber heftige oder langanhaltende traumatische Ereignisse können die schützenden Mechanismen der Stressbewältigung durchbrechen und so zu pathologischen Zuständen wie Depressionen oder Angst führen.
Laut ihr sind miRNAs ideal positioniert, um komplexe neuropsychiatrische Erkrankungen wie Angst zu kontrollieren. Die molekularen und zellulären Mechanismen, die sie zur Steuerung der Stressbewältigung und Anfälligkeit einsetzen, waren bisher jedoch weitgehend unbekannt. Der in dieser Studie entdeckte miR483-5p/Pgap2-Pfad, dessen Aktivierung angstlösende Effekte hat, bietet eine hervorragende Chance für die Entwicklung von Anti-Angst-Therapien für komplexe psychiatrische Zustände beim Menschen.
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-37688-2