Robert Klatt
Erwachsene Probanden mit kompletter Farbenblindheit (Achromatopsie) können dank einer neuen Gentherapie schärfer sehen und Farben erkennen. Nun soll die Behandlungsmethode auch an Kindern erprobt werden, bei denen noch bessere Behandlungserfolge erwartet werden.
Tübingen (Deutschland). Menschen mit kompletter Farbenblindheit (Achromatopsie) sehen ihre Umgebung nur in Grautönen und häufig nur sehr unscharf. Im Vergleich zu Menschen mit Rot-Grün-Schwäche und Menschen ohne Sehbehinderung sind sie im Alltag dadurch oft stark eingeschränkt. Verantwortlich für diese bisher unheilbare Behinderung ist ein Gendefekt, der dazu führt, dass in den Zapfen der Netzhaut bestimmte Ionenkanäle nicht mehr funktionieren. Dies hat zur Folge, dass die für das Farbensehen und das scharfe Sehen bei Tageslicht zuständigen Sehzellen ausfallen.
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Tübingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) haben nun im Fachmagazin JAMA Ophthalmology eine Gentherapie vorgestellt, die bei etwa einem Drittel aller Achromatopsie-Patienten den Gendefekt reparieren könnte. Das Team um Dominik Fischer nutzt dazu eine intakte Genkopie, die durch ein Adenovirus, das als Genfähre genutzt wird, in die beschädigten Netzhautzellen eingebracht wird.
Nun haben die Wissenschaftler erstmals die Sicherheit der gentherapeutische Behandlung an menschlichen Achromatopsie-Patienten im Rahmen einer klinischen Pilotstudie untersucht. Neun erwachsenen Personen wurden dazu Adenoviren mit dem Genersatz in ein Auge injiziert. Laut Fischer „hatten Probanden in der Folge keine wirkstoffbezogenen Gesundheitsprobleme, und ihre Netzhaut wies keine dauerhaften Veränderungen auf.“
Der Erfolg der Behandlung wurde durch regelmäßige Sehtests belegt. Bei allen Probanden verbesserte sich beim behandelten Auge die Sehfähigkeit. Die Achromatopsie-Patienten können nun leicht schärfer und kontrastreicher sehen und sogar erste Farben unterscheiden.
Bernd Wissinger, Co-Autor vom Tübinger Forschungsinstitut für Augenheilkunde erklärt, dass „die jetzt durchgeführte Studie ein wichtiger erster Schritt und Meilenstein hin zu einer kurativen Therapie der Achromatopsie ist und dass die Wissenschaftler noch bessere Behandlungserfolge in der Zukunft erwarten.“ Dafür spricht auch, dass in der Pilotstudie nur die Sicherheit des Verfahrens untersucht werden sollte und dass deshalb ausschließlich erwachsene Probanden ausgewählt wurden.
Laut den Studienautoren sind noch größere Behandlungserfolge bei Kindern mit Achromatopsie wahrscheinlich, wenn in diesem Alter das Gehirn noch plastisch genug ist, um die neuen Informationen der Augen zu verarbeiten. Außerdem ist die Netzhaut in diesem Alter noch kaum vorgeschädigt. Wie Marius Ueffing erklärt, „ist diese Plastizität eine notwendige Voraussetzung dafür, die neugewonnene Farbsehfähigkeit der Netzhaut in einen echten Seheindruck umzusetzen, da das Gehirn von Achromatopsie-Betroffenen nie gelernt hat, Farbsehen zu verarbeiten.“
Eine Folgestudie, für die die Wissenschaftler bereits die Genehmigung erhalten haben, soll bald diese These an Kindern untersuchen.
JAMA Ophthalmology, doi: 10.1001/jamaophthalmol.2020.1032