Robert Klatt
Eine Gentherapie, bei der ein Virus in das Gehirn implantiert wird, kann den Alkoholkonsum bei starken Trinkern fast auf null reduzieren. Die Behandlung könnte bei schwersten Fällen von Alkoholsucht verwendet werden, bei denen herkömmliche Therapien häufig versagen.
Portland (U.S.A.). In Deutschland konsumieren laut dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) rund 7,9 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. 74.000 Menschen sterben an den Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums jährlich. Die Behandlung von Alkoholsucht ist laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) oft nicht erfolgreich. Nur ein kleiner Teil (20 %) der Betroffenen hält die Abstinenz bis Therapieende durch.
Die Medizin erprobt, deshalb vermehrt neue Ansätze, die lediglich die Trinkmenge und damit auch die gesundheitlichen Risiken reduzieren sollen. Das sogenannte „kontrollierte Trinken“ ist laut Professor Dr. Christopher Baethge vom Universitätsklinikum Köln aber umstritten.
„Die Skepsis gegenüber dieser Therapieoption des sogenannten kontrollierten Trinkens ist groß – sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Ärzteschaft. Andererseits weisen wissenschaftliche Untersuchungen und die Praxis darauf hin, dass auch ein geringes Trinken unterhalb schädlicher Mengen ein Ausweg aus der Alkoholkrankheit sein kann.“
Forscher der Oregon Health & Science University (OHSU) um Kathleen Grant haben nun entdeckt, dass eine Gentherapie zur Behandlung von Parkinson, den Alkoholkonsum von starken Trinkern signifikant reduzieren kann.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Medicine haben Studien mit nicht-menschlichen Primaten gezeigt, dass das Einpflanzen eines bestimmten Molekültyps den Belohnungsweg im Gehirn zurücksetzt. Der Eingriff benötigt aber eine Gehirnoperation und könnte im klinischen Alltag deshalb primär in schwersten Fällen von Alkoholkonsumstörung verwendet werden.
„Das war unglaublich effektiv.“
Der implantierte Virus ist ungefährlich und trägt ein Gen, das für das Protein namens „glial-derived neurotrophic factor“ (GDNF) kodiert. Es wurde in einen bestimmten Bereich des Gehirns einer Gruppe von Rhesusmakaken gespritzt, die freiwillig und in großen Mengen alkoholische Getränke konsumierten. Nachdem vier Makaken den Eingriff durchlaufen hatten, reduzierten die Affen ihren Alkoholkonsum deutlich (90 %).
„Das Trinken sank fast auf null. Monatelang entschieden sich diese Tiere, Wasser zu trinken und Alkohol vollständig zu meiden. Ihr Alkoholkonsum sank so stark, dass wir keinen Blutalkoholwert mehr feststellten.“
GDNF ist bekannt als ein Wachstumsfaktor. In diesem Fall maßen die Forscher eine verbesserte Funktion der Neuronen im Gehirn, die Dopamin produzieren. Bei Alkoholkonsumstörung verringert chronischer Alkoholkonsum die Dopaminausschüttung.
„Dopamin ist an der Verstärkung des Verhaltens beteiligt und daran, dass Menschen bestimmte Dinge als angenehm empfinden. Akuter Alkoholkonsum kann Dopamin erhöhen. Durch chronischen Konsum passt sich das Gehirn jedoch so an, dass es die Dopaminausschüttung verringert. Daher scheint es, dass Menschen, die alkoholabhängig sind, nicht wirklich mehr Vergnügen am Trinken haben. Es scheint, als würden sie mehr trinken, weil sie das Bedürfnis verspüren, betrunken zu bleiben.“
Das implantierte Virus verursacht keine Krankheiten. Bei Erwachsenen mit Parkinson und bei Kindern mit einer seltenen genetischen Störung wird das Verfahren bereits eingesetzt. Es könnte deshalb in den kommenden Jahren auch zur Behandlung von Menschen mit Alkoholsucht zugelassen werden, damit diese den Konsum der Drogen reduzieren.
Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02463-9