Robert Klatt
Laut der Extreme-Male-Brain-Theorie beeinflusst der Testosteronspiegel maßgeblich die Empathiefähigkeit von Männern und verursacht sogar Autismus. Eine neue Studie hat dies nun widerlegt.
Philadelphia (U.S.A.). Die Gesundheit von Männern wird maßgeblich durch die Höhe des Testosteronspiegels beeinflusst. Studien haben unter anderem belegt, dass ein Mangel des Hormons bei Männer zu Depressionen führen kann. Laut einer im Fachmagazin Nature Communications publizierten Studie verändert der Testosteronspiegel sogar das Konsumverhalten von Männern und führt dazu, dass vermehrt Statussymbole wie Sportwagen oder teure Uhren gekauft werden. Außerdem ging die Wissenschaft bisher davon aus, dass das Sexualhormon die Empathiefähigkeit von Männern steuert.
Laut der Extreme-Male-Brain-Theorie, die vom britischen Psychologen und Direktor des Autismus-Forschungszentrums (ARC) Simon Baron-Cohen geprägt wurde, führt ein zu hoher Testosteronspiegel im Mutterleib dazu, dass das Risiko an Autismus zu erkranken steigt und dass die betroffenen Menschen später unter Störungen des Sozialverhaltens leiden. Einige Theorien behaupten sogar, dass das Hormon die mangelnde Empathie von Psychopathen auslösen kann.
Amos Nadler, Autor einer nun im Fachmagazin Proceedings of the Royal Society publizierten Studie erklärt, dass „einige Untersuchungen auf eine Verbindung zwischen Testosteron und einer verminderten Empathiefähigkeit hindeuten.“ Da diese Studien nur kleine Probandengruppen nutzten und ein direkter Zusammenhang nur schwer nachweisbar ist, haben die Wissenschaftler der University of Pennsylvania für ihre neue Untersuchung 650 gesunde männliche Probanden untersucht, um eine zuverlässige Datenbasis erstellen zu können.
Zur Untersuchung des Testosteroneinflusses auf die Empathie haben die Probanden eine Reihe von Tests absolviert, bei denen sie zum Beispiel auf Fotos anhand der Augen der gezeigten Personen deren Emotionen bestimmen sollten. Ein Teil der Probanden erhielt vor den Empathietests Testosteron als Gel oder Nasenspray, die Kontrollgruppe wurde mit einem Placebo behandelt.
Außerdem wurde die Länge des Ring- und Zeigefingers gemessen, da ein im Verhältnis zum Zeigefinger langer Ringfinger ein Beleg für einen hohen Testosteronspiegel im Mutterleib ist. In der Medizin gilt das sogenannte 2D:4D-Verhältnis als Anzeichen für eine Beeinflussung der Entwicklung des Embryos durch das Hormon Testosteron.
Die Ergebnisse der Studien zeigen eindeutig, dass weder die Behandlung der Probanden mit Testosteron noch das 2D:4D-Verhältnis einen Einfluss auf die Ergebnisse der Empathietests haben. Die Medikamente sorgten zwar dafür, dass der gemessene Testosteronspiegel der Probanden anstieg, dies beeinflusste aber nicht ihr Abschneiden in den Tests. Nadler konstatiert, dass „die Ergebnisse nahelegen, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Testosteron-Exposition und der kognitiven Empathie gibt.“
Auch die Extreme-Male-Brain-Theorie, laut der das Hormon Autismus und die Entwicklung anderer Erkrankungen begünstigt ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Forschung falsch. Wie Nadler erklärt „hat die Extreme-Male-Brain-Theorie in der Vergangenheit viel Aufmerksamkeit bekommen. Wenn man sich die wissenschaftliche Literatur genau ansieht, gibt es bis heute keine belastbaren Belege dafür.“
Proceedings of the Royal Society, doi: 10.1098/rspb.2019.1062