Robert Klatt
Bisher ging man davon aus, dass die Hirnreifung des Menschen erst mit 25 Jahren voll abgeschlossen ist. Neue Daten zeigen, dass die exekutiven Funktionen, etwa die Selbstkontrolle, schon deutlich früher voll entwickelt sind.
Pittsburgh (U.S.A.). Die exekutiven Funktionen des Gehirns, darunter etwa kognitive Prozesse wie die Selbstkontrolle, helfen dem Menschen, Probleme zu lösen und vorausschauend zu denken. Sie sind deshalb entscheidend dafür, wann aus einem Jugendlichen ein Erwachsener wird. In der Wissenschaft ging man bisher davon aus, dass die Hirnreifung erst mit 25 Jahren vollständig abgeschlossen ist.
Forscher der University of Pittsburgh (Pitt) um Brenden Tervo-Clemmens haben nun eine Studie publiziert, laut der die exekutiven Funktionen bereits im Alter von 18 bis 20 Jahren voll entwickelt sind, also deutlich früher, als bislang angenommen wurde.
„Wir haben Methoden verwendet, die den Forschern bis vor einigen Jahren nicht zur Verfügung standen. Eine Studie dieses Ausmaßes wurde nur durch den offenen Austausch von Daten möglich.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Communications haben die Forscher für die bislang umfassendste Studie zu diesem Thema vier große Datensätze analysiert, die insgesamt rund 11.000 Probanden im Alter von acht bis 35 Jahren umfassen. Die Studienteilnehmer haben 17 unterschiedliche standardisierte Aufgaben absolviert, an deren Ergebnisse man die Funktion der exekutiven Funktionen erkennen kann. Auf Grundlage der daraus gewonnenen Daten haben die Autoren Reifungskurven erstellt.
Laut den Reifungskurven nehmen die exekutiven Funktionen in der späten Kindheit bis zur frühen Adoleszenz (10 bis 15 Jahre) stark zu. In der Phase der mittleren Adoleszenz (15 bis 18 Jahre) entwickeln sich diese Fähigkeiten in feineren Abstufungen weiter, um sich dann in der späten Jugend (18 bis 20 Jahre) auf einem mit Erwachsenen vergleichbaren Niveau zu festigen. Diese Ergebnisse bleiben konstant, selbst wenn Experten Variablen wie den Bildungsgrad der Eltern und das Haushaltseinkommen in ihre Überlegungen einbeziehen.
Laut der Neuropsychologe Vaughan Bell vom University College London (UCL), die nicht an der Studie beteiligt war, stellen die Ergebnisse somit die These infrage, dass die exekutiven Funktionen erst nach dem 25. Lebensjahr vollständig entwickelt sind. Dies bedeutet laut Co-Autorin Beatriz Luna aber nicht, dass die gesamte Entwicklung des Menschen bereits in diesem Alter abgeschlossen ist.
„Andere wichtige Verhaltensfaktoren, die die exekutive Funktion ergänzen, wie die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu kontrollieren, können sich mit dem Alter verändern,“
Die detaillierten Entwicklungsverläufe können zudem nützlich sein, um Anomalien und psychische Störungen, wie Schizophrenie, frühzeitiger zu identifizieren. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für Psychiater und Neurowissenschaftler relevant, sondern auch für Eltern, Lehrkräfte und eventuell für die Justiz von Bedeutung, etwa um Altersgrenzen für das Jugendstrafrecht festzulegen.
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-42540-8