Robert Klatt
Gehirnscans zeigen, dass es sechs Depressions-„Biotypen“ gibt, die unterschiedlich auf verschiedene Medikamente und Therapien reagieren. Das Wissen kann die bisher oft erfolglose Behandlung von Depressionen deutlich verbessern.
Stanford (U.S.A.). Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention gehören Depressionen zu den häufigsten und am stärksten unterschätzten Erkrankungen. In Deutschland leiden etwa 5,3 Millionen der Erwachsenen (8,2 %) im Laufe ihres Lebens an unipolaren oder anhaltenden Depression. Forscher der Stanford University Leanne M. Williams haben nun mithilfe von Hirnscans und einer Künstlichen Intelligenz (KI) sechs Subtypen von Depressionen und Ängsten entdeckt.
Laut den Wissenschaftlern kann dies dabei helfen, die Behandlung besser an die individuellen Patienten anzupassen. Etwa ein Drittel der Menschen mit Depressionen gelten in der Psychologie derzeit als therapieresistent, weil weder Therapien noch unterschiedliche Medikamente ihre Symptome lindern können. Zudem kann die Behandlung bei rund zwei Drittel der Patienten die Symptome nicht komplett beseitigen.
Ein Grund dafür ist, dass es keine zuverlässige Methode gibt, die passende Therapie für einen Patienten vorherzusagen. Medikamente werden oft nach dem Trial-and-Error-Verfahren verschrieben, was Monate oder Jahre dauern kann. Diese lange Phase ohne wirksame Behandlung kann die Symptome zusätzlich verschlimmern.
„Das Ziel unserer Arbeit ist es herauszufinden, wie wir es beim ersten Mal richtig machen können. Es ist sehr frustrierend, im Bereich der Depression tätig zu sein und keine bessere Alternative zu diesem Einheitsansatz zu haben.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Medicine haben die Forscher die Gehirnaktivität von 801 Personen mit diagnostizierten Depressionen oder Ängsten mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) untersucht. Die Probanden waren dabei im Ruhezustand, mussten aber auch kognitiv und emotional anspruchsvolle Aufgaben lösen. Der Fokus lag auf Hirnregionen und deren Verbindungen, die mit Depressionen in Verbindung stehen. Anschließend konnten die Forscher mit einer KI anhand der Hirnscans sechs verschiedene Aktivitätsmuster in den betroffenen Hirnregionen identifizieren.
Anschließend haben die Forscher 250 Probanden zufällig in vier Gruppen unterteilt, die entweder eine Verhaltenstherapie absolviert haben oder eines von drei Antidepressiva einnahmen. Patienten mit einer Überaktivität in kognitiven Hirnregionen sprachen am besten auf das Antidepressivum Venlafaxin (Effexor) an. Teilnehmer mit erhöhter Aktivität in depressions- und problemlösungsrelevanten Gehirnregionen im Ruhezustand profitierten stärker von der Verhaltenstherapie. Patienten mit geringerer Aktivität im auf Aufmerksamkeit spezialisierten Hirnschaltkreis zeigten hingegen seltener eine Verbesserung durch Verhaltenstherapie.
„Soweit wir wissen, ist dies das erste Mal, dass wir nachweisen können, dass Depressionen durch unterschiedliche Störungen der Gehirnfunktion erklärt werden können. Im Wesentlichen ist es ein Beweis für einen personalisierten Medizinansatz im Bereich der psychischen Gesundheit auf Grundlage objektiver Messungen der Gehirnfunktion.“
Laut den Forschern können die neuen Erkenntnisse dabei helfen, die Behandlung von Depressionen stark zu verbessern. Es ist jedoch problematisch, dass man bisher zum Bestimmen des Depressions-„Biotypen“ MRT-Aufnahmen des Gehirns sowohl im Ruhezustand als auch während kognitiver Aufgaben benötigt. Diese Aufnahmen mit jedem Patienten zu erstellen, ist sehr aufwändig und aufgrund mangelnder Kapazitäten kaum möglich.
Als nächsten Schritt möchten die Forscher deshalb eine Methode entwickeln, mit der ohne MRT-Aufnahmen bereits bei der ersten schweren Depression den spezifischen Depressionstyp identifiziert werden kann. Wenn dies gelingt, könnten Allgemein- und Fachärzte den Depressions-„Biotypen“ leicht identifizieren und die Behandlung anschließend individuell planen.
„Indem wir eine klinische kognitive Signatur zur Personalisierung von Behandlungen vorantreiben, sprechen wir ein dringendes öffentliches Bedürfnis an. Mit unserem Projekt wollen wir individualisierte, hirnbasierte Bewertungen in großem Maßstab entwickeln, um die klinische Entscheidungsfindung zu verbessern und die Ergebnisse für Millionen von Menschen, die weltweit von Depressionen betroffen sind, zu optimieren.“
Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-024-03057-9