Robert Klatt
Männer haben ein fast doppelt so hohes Darmkrebsrisiko wie Frauen, obwohl die bekannten Risikofaktoren dies nur teilweise erklären können. Eine Ursache dafür könnten Hormone sein, die bei Frauen ein womöglich unterschätzter Schutzfaktor sind.
Heidelberg (Deutschland). In Deutschland erkranken jährlich etwa 55.000 Menschen an Darmkrebs, darunter deutlich mehr Männer als Frauen. Ein bekannter Risikofaktor ist neben dem hohen Konsum von rotem Fleisch auch Rauchen, also zwei Gewohnheiten, die bei Männern häufiger sind als bei Frauen. Außerdem konnte die Forschung bei Taufliegen erste Indizien dafür finden, dass auch hormonelle Einflüsse für das Darmkrebswachstum existieren.
Ob die bereits bekannten Risikofaktoren für die signifikanten Geschlechterunterschiede verantwortlich sind, konnte die Wissenschaft bisher aber nicht erklären. Ein Team um Tobias Niedermaier vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat deshalb versucht, anhand von fast 16.000 Gesundheitsdaten von Frauen und Männern zwischen 55 und 79 Jahren zu analysieren, ob noch weitere Faktoren für die Geschlechterunterschiede beim Darmkrebsrisiko verantwortlich sind.
„Dabei haben wir die wichtigsten bekannten und vorgeschlagenen Risikofaktoren berücksichtigt. Alter, familiäre Vorbelastung mit Darmkrebs, Diabetes, frühere Koloskopie, Einnahme von Aspirin und Statinen, Rauchen, Alkoholkonsum, Body-Mass-Index (BMI), Körpergröße, körperliche Aktivität, Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch, Obst und Gemüse, Vollkornprodukten und schließlich die Verwendung von Hormonersatztherapie bei Frauen“, erklärt Niedermaier.
Bei 141 Männern (1,8 %) und 78 Frauen (1,0 Prozent) der Personen, deren Gesundheitsdaten untersucht wurden, wurde bei einer Darmspiegelung Darmkrebs diagnostiziert. Bei weiteren 1.049 Männer (13,4 Prozent) und 591 Frauen (7,2 %) wurde überdies ein fortgeschrittenes Adenom entdeckt. Es handelt sich dabei um einen in der Regel gutartigen Tumor, der aber eine Krebsvorstufe sein kann. Sowohl Darmkrebs als auch fortgeschrittene Adenome wurden bei Männern also fast doppelt so oft gefunden wie bei Frauen.
Anschließend berechneten die Wissenschaftler laut ihrer Publikation im International Journal of Cancer, ob die bekannten Risiko- und Schutzfaktoren die Geschlechterunterschiede erklären können. „Viele der Risiko- und Schutzfaktoren unterschieden sich deutlich zwischen Männern und Frauen. Zum Beispiel waren mehr Männer Diabetiker, rauchten häufiger und tranken mehr Alkohol, waren häufiger übergewichtig, trieben weniger Sport und ernährten sich ungesünder“, so die Autoren. Zusammengerechnet können diese Faktoren aber nur 47 Prozent des höheren Darmkrebsrisikos bei Männern erklären. „Im Umkehrschluss heißt das aber, dass wir die Ursachen für die andere Hälfte dieses Risiko-Überschusses noch nicht kennen“, erklärt Hermann Brenner.
Die Wissenschaftler vermuten deshalb, dass die weiblichen Hormone ein bisher unterschätzter Schutzfaktor vor Darmkrebs sein könnten. „Im Vergleich zu Frauen, die niemals eine Hormonersatztherapie eingenommen haben, war das Risiko der Männer weniger stark erhöht als im Vergleich zu Frauen mit Hormonersatztherapie. Das deutet darauf hin, dass hormonelle Faktoren eine wichtige Rolle für das Darmkrebsrisiko spielen, was das verbleibende übermäßige Risiko für Männer bis zu einem gewissen Grad erklären könnte“, so die Autoren.
Um den potenziellen Risikofaktor in Zukunft besser bewerten zu können, empfehlen die Autoren, bei neuen Studien auch Informationen zur Einnahme der Anti-Baby-Pille, zu Schwangerschaften, zum Stillen sowie zum Beginn und Ende der Monatsblutungen abzufragen. „Ein besseres Verständnis der Rolle der hormonellen Faktoren im Laufe des Lebens könnte dazu beitragen, die verbleibende ‚Geschlechterkluft‘ zu erklären“, so die Wissenschaftler.
„Auf jeden Fall zeigen unsere Ergebnisse erneut, wie wichtig es insbesondere für Männer ist, die Möglichkeiten zur Darmkrebsvorsorge wahrzunehmen, Stuhltests durchzuführen oder sich für eine Vorsorge-Darmspiegelung zu entscheiden“, konstatiert Brenner.
International Journal of Cancer, doi: 10.1002/ijc.33742