Robert Klatt
Ein neues Verfahren ermöglicht Inhalationsimpfungen gegen Covid-19 und andere Atemwegserkrankungen. In Zukunft sollen inhalierbare Vakzine sogar Krebs verhindern.
Cambridge (U.S.A.). Die meisten Impfungen, darunter Impfstoffe gegen Masern, Grippe und Covid-19, werden bisher intramuskulär verabreicht. Die immunwirksamen Substanzen verbreiten sich dann über das Blut und lösen die Bildung von Antikörpern, T-Zellen und Gedächtniszellen aus. Einige Vakzine können aber auch als Schluckimpfung oder als Nasenspray verabreicht werden. Dies hat den Vorteil, dass die Impfung direkt dort wirken kann, wo Krankheitserreger den Menschen angreifen.
„Es gibt ein allgemeines Prinzip, nachdem eine Impfung direkt an den Schleimhäuten auch einen stärkeren Immunschutz an diesen Stellen bewirkt“, erklärt Darrell Irvine vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Bei Atemwegs-Viren wäre demnach eine inhalierte Impfung, der zur Stationierung von T-Gedächtniszellen in den Schleimhäuten führt, intramuskulär verabreichten Impfstoffen vorzuziehen.
Aktuell verfügbare inhalierbare Impfstoffe funktionieren aber nur dann, wenn sie lebende Viren enthalten, die die Schutzbarrieren der Schleimhaut überwinden. Impfstoffe ohne lebende Viren, wie Peptid-Vakzine oder die gegen SARS-CoV-2 eingesetzten mRNA-Impfstoffe, können hingegen nicht per Nasenspray oder Inhalation verabreicht werden, weil sie zu schnell von den Schleimhäuten entfernt werden würden.
Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology haben es nun erstmals geschafft einen Peptid-Impfstoff über die Schleimhäute zu verabreichen. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Immunology ergänzte das Team um Irvine dazu zwei Peptidvakzine um einen Zusatzstoff, der bewirkt, dass sich das Peptid an das in Schleimhäuten vorkommende Protein Albumin bindet.
„Unsere Idee war, dass wir das Albumin als eine Art Trojanisches Pferd nutzen könnten, um das Vakzin durch die Barriere zu bringen“, erklärt Irvine. Zur Verifikation ihrer Vermutung pusteten die Forscher den Testimpfstoff in die Bronchien von Mäusen. Anschließend beobachteten sie, ob eine Immunreaktion verfolgt. Zum Vergleich erhielt eine Kontrollgruppe dieselbe Impfstoffmenge intramuskulär.
Beide Verabreichungsformen führten zur erwünschten Bildung der spezifischen T-Zellen in den lungennahen Lymphknoten und im Lungengewebe der Tiere. Die inhalierte Impfung führte aber zu einer 25-fach stärkeren T-Zellen-Reaktion als die intramuskuläre Impfung.
Weil eine Impfung per Nasensprach statt per Inhalation in der klinischen Praxis deutlich einfacher ist, überprüften die Wissenschaftler anschließend auch deren Immunreaktion. Dabei zeigte sich, dass die intranasale Verabreichung eine deutlich geringere T-Zell-Reaktion auslöste als die per Inhalation verabreichte Impfung. „Eine intranasale Applikation scheint demnach für Immunreaktionen der unteren Atemwege weniger effektiv zu sein“, erklärt Irvine.
Um zu prüfen, ob die geimpften Tiere vor einer Infektion geschützt sind, setzten die Wissenschaftler sie dem Vaccinia-Virus aus. Dieses Virus ist normalerweise für Mäuse tödlich. „Alle Tiere, die das Vakzin intratracheal erhalten hatten, überlebten diese Virendosis. Die Mäuse in allen anderen Gruppen verloren dagegen nach der Infektion kontinuierlich an Gewicht und starben am siebten Tag“, berichtet Irvine.
Laut den Forscher bestätigt dies, dass abgewandelte Peptid-Impfstoffe per Inhalation verabreicht werden können. Das Team hat deshalb bereits damit begonnen einen Inhalationsstoff gegen Covid-19 zu entwickeln.
In einem weiteren Experiment verabreichten die Wissenschaftler Mäusen einen inhalierbaren Impfstoff gegen Krebsmetastasen. Mäusen, denen das Peptid aus Melanomen verabreicht wurde, bildeten anschließend T-Zellen gegen diese Bestandteile der Hautkrebszellen. Bei den geimpften Tiere verhinderte dies eine durch streuende Melanomzellen ausgelöste Bildung von Metastasen in der Lunge.
„In den Viren und den Tumor-Experimenten bestätigen wir, dass die T-Gedächtniszellen sich in der Lunge stationieren und dort direkt an der Schleimhautbarriere warten. Sobald dann ein Virus oder eine Tumorzelle auftaucht, können die T-Zellen sie direkt beseitigen“, erklärt Irvine. Grundsätzlich könnten Inhalationsimpfungen demnach in Zukunft sogar vor Krebs schützen.
Science Immunology, doi: 10.1126/sciimmunol.abd8003