Robert Klatt
Ein neuer Wirkstoff konnte in Tierversuchen und bei menschlichen Zellkulturen die Vermehrung des Coronavirus signifikant hemmen. Aufgrund der spezifischen Merkmale der Hauptprotease sind Nebenwirkungen und Zellschäden beim Menschen durch diesen Behandlungsansatz nahezu auszuschließen.
Lübeck (Deutschland). Wissenschaftler arbeiten aufgrund der exponentiell steigenden Infektionen mit dem Coronavirus weltweit an Impfstoffen und Medikamenten gegen die oft tödliche Krankheit. Bereits im Januar konnte Forscher der Universität Marburg das Molekül CR-31-B vorstellen, das bei Zellkulturen die Vermehrung des Virus signifikant hemmt. Außerdem laufen in China und den U.S.A. erste klinische Studien mit dem Wirkstoff Remdesivir, der ursprüngliche Ebola bekämpfen sollte, der aber auch bei Corona zu wirken scheint.
Eine weitere Erfolgsmeldung kommt nun von der Universität Lübeck, deren Wissenschaftler laut einer Publikation im Magazin Science einen neuen Ansatzpunkt für ein antivirales Medikament gegen den Coronavirus entwickelt haben. Die Gruppe um Linlin Zhang und Rolf Hilgenfeld hat dazu die Struktur der Hauptprotease des Virus entschlüsselt. Es handelt sich dabei um das Enzym, das das Virus benötigt, um seine RNA von der Wirtszelle kopieren zu lassen. Das Virus produziert dafür Polyproteine, dies sind große Proteinkomplexe, die die Hauptprotease dann in zwölf kleinere Proteine verschneidet. Anschließend entsteht aus diesen Bausteinen der Replikationskomplex, der die Vermehrung der Viren-RNA im Körper des Menschen startet.
Wie Hilgenfeld erklärt, „kann die Virusreplikation unterbunden werden, wenn es gelingt, die Hauptprotease zu blockieren.“ Zur Entschlüsselung des Enzyms nutzten die Lübecker Wissenschaftler das Erbgut von SARS-CoV-2, das im Januar von chinesischen Forscher publiziert wurde. Die kürzlich vorgestellte neue Genschere, die auch die Virus-RNA verschneiden und manipulieren kann, kam dabei noch nicht zum Einsatz. Aus der aus dem Erbgut isolierten genetischen Bauanleitung, synthetisieren die Forscher anschließend das Gen und pflanzten es Zellkulturen von Escherichia coli Bakterien ein.
Die manipulierten Escherichia coli Bakterien begannen daraufhin größere Mengen des viralen Enzyms herzustellen. Wie Zhang berichtet, „hatten die Wissenschaftler Ende Januar genügend Enzym gereinigt und kristallisiert, was dann am 1. Februar als Kristalle zum BESSY-Synchrotron in Berlin transportiert wurde, um sie dort in einen intensiven Röntgenstrahl hineinzubringen.“ Durch die Röntgen-Diffraktion ist es möglich die dreidimensionale Struktur der Protease und sogar deren einzelne Atome sichtbar zu machen.
Die Entschlüsselung der Enzym-Struktur eröffnet der Wissenschaft nun schnellere und genauere Möglichkeiten zur Entwicklung und Optimierung von Hemmstoffen gegen den Coronavirus. Wie die Forscher erklären, „sind Hemmstoffe gegen diese virale Hauptprotease mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht toxisch, weil es keine menschliche Protease mit ähnlich spezifischen Merkmalen gibt.“ Zellschäden und schwere Nebenwirkungen sind deshalb sehr unwahrscheinlich.
Tierversuche mit einem Wirkstoff, den die Wissenschaftler um Hilgenfeld ursprünglich gegen MERS-CoV und andere Coronaviren entwickelt hatten, erwiesen sich auch gegen SARS-CoV-2 als wirksam. Bei Mäusen, denen der Wirkstoff per Inhalationsspray oder Injektion verabreicht wurde, sammelte sich der Wirkstoff in der Niere und Lunge, also in den Organen, in denen das Coronavirus die größten Schäden auslöst.
Auch in Tests mit menschlichen Zellkulturen, die zuvor SARS-CoV-2 infiziert wurden, konnte der Hemmstoff die Vermehrung des Coronavirus deutlich hemmen und so die Infektion eindämmen. Die Forscher schließen aus diesen Ergebnissen darauf, dass inhalierbaren Medikamente die virale Hauptprotease blockieren können und somit ein wirksames Mittel gegen das Coronavirus sind.
Leider steckt die Entwicklung eines Hemmstoffs für den Menschen noch in der Anfangsphase. Hilgenfeld betont daher, „dass es ganz sicher noch mehrere Jahre dauern wird, bis unser Wirkstoff zu einem Anti-Coronavirus-Medikament entwickelt sein wird.“ Derzeit sind die Wissenschaftler auf der Suche nach einer Finanzierungsmöglichkeit für klinische Studien, die zwingend notwendig sind, bevor ein Medikament seine Zulassung erhalten kann. In der aktuellen Pandemie kann der neue Wirkstoff also leider noch nicht eingesetzt werden.
Science, doi: 10.1126/science.abb3405