Robert Klatt
Taurin, eine semi-essenzielle Aminosäure, die in den meisten Energydrinks enthalten ist, kann das Leben verlängern.
New York (U.S.A.). Taurin, eine semi-essenzielle Aminosäure, ist an diversen metabolischen Funktionen, unter anderem an der Energieherstellung und der Synthese von Gallensäuren beteiligt. Die farblose kristalline Substanz wird sowohl vom menschlichen Organismus selbst produziert, speziell in der Leber, als auch durch die Nahrungsaufnahme bereitgestellt. Muscheln sind eine besonders reiche Quelle dieses Stoffes. Auch andere Meeresfrüchte wie Krabben, Garnelen und Fleisch bieten hohe Taurinmengen. Trotzdem wird Taurin von den meisten Menschen primär mit Energydrinks in Verbindung gebracht.
Verwendet wird Taurin primär von Kraftsportlern, die sich dadurch eine höhere Leistungsfähigkeit erhoffen. Clara Correia-Melo, Leiterin der Forschungsgruppe Mikrobiom und Metabolismus am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) erklärt, sollten aber auch andere Personengruppen auf eine ausreichend Taurinversorgung achten.
„Ein Taurinmangel beim Menschen wird mit verschiedenen Organfehlfunktionen und -krankheiten in Verbindung gebracht, von denen einige auch im Alter auftreten, wie Bluthochdruck, Nierenfunktionsstörungen und Fettleibigkeit.“
Der Wissenschaft ist bereits bekannt, dass der Taurinspiegel im Blut mit zunehmenden Alter sinkt. Es besteht deshalb bereits seit Langem die Frage, ob Menschen länger leben oder länger gesund bleiben, wenn sie Taurin einnehmen. Ein internationales Team aus Wissenschaftlerteam von 34 Institutionen hat nun unter Leitung der Columbia University diese Frage untersucht.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science haben die Wissenschaftler Experimente mit Mäusen und kleinen Primaten durchgeführt. Die Mäuse erhielten eine extrem hohe Dosis Taurin, mit täglichen Mengen von 0,5 bis 1 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Die Mäuse, die dieses Nahrungsschema erhielten, überlebten ihre normal ernährten Artgenossen um zehn bis zwölf Prozent. Überdies zeigten sie im mittleren Lebensalter eine verbesserte Gesundheit, mit dichteren Knochen, einer erhöhten Immunreaktion, stärkeren Muskeln und einem reduzierten Körperfettanteil.
Taurin zeigte vergleichbare positive Effekte auch bei kleinen Affen, die natürlich eine größere Ähnlichkeit mit Menschen aufweisen als Nagetiere. Trotz der geringeren Dosis von nur 250 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht schützte Taurin diese Tiere vor typischen Altersbeschwerden. Ob sich dadurch jedoch auch die Lebensspanne verlängerte, wurde in dieser Studie nicht festgestellt.
Die entscheidende Frage ist natürlich, ob sich diese Erkenntnisse auch auf Menschen übertragen lassen. In ihrer Arbeit zitieren die Forscher zumindest Daten aus einer großen Gesundheitsstudie mit rund zehntausend Teilnehmern. Hier stellten sie fest, dass Teilnehmer mit niedrigeren Taurinspiegeln im Blut häufiger typische Altersbeschwerden oder Übergewicht aufwiesen.
Sebastian Grönke vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, der nicht an der Studie beteiligt war, lobt das Studiendesign.
„Die Kombination von verschiedenen Modellorganismen und humanen Daten sowie der Umstand, dass ähnliche Ergebnisse in den verschiedenen beteiligten Laboren erzielt werden konnten, machen diese Studie besonders überzeugend.“
Die Studien zeigt bei Menschen aber nur eine Korrelation und keine Kausalität. Es ist noch unklar, ob abnehmende Taurinkonzentrationen tatsächlich das Altern verursachen oder ob der Alterungsprozess zu sinkenden Taurinspiegeln führt. Ebenso ungewiss bleibt die Wirkung einer Taurinzufuhr beim Menschen. Kristina Norman, Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) warnt deshalb vor voreiligen Schlüssen.
„Die Übertragung auf Menschen bleibt uns die Studie schuldig. Es ist wirklich schwierig, Langlebigkeit bei Menschen zu untersuchen und Altern ist ein multifaktorieller Prozess, der sicherlich nicht durch eine einzige Substanz verhindert werden kann.“
In einem ebenfalls im Fachmagazin Science publizierten Begleitartikel zur Studie erklären die Forscher, dass sich aus den Ergebnisse praktische Tipps ableiten lassen. Die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln oder Energydrinks wird von den Forschern nicht empfohlen. Obwohl Taurin-Präparate ohne Rezept erhältlich sind und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine tägliche Aufnahme von bis zu sechs Gramm als sicher einstuft, sind die langfristigen Auswirkungen, insbesondere bei hohen Taurindosen, noch nicht ausreichend erforscht.
Science, doi: 10.1126/science.abn9257
Science, doi: 10.1126/science.adi3025