Robert Klatt
Eine hohe Intelligenz wird meistens mit einem „schnellen“ Denken assoziiert. Tatsächlich arbeiten besonders intelligente Gehirne aber langsamer. Die neuen Erkenntnisse könnten in Zukunft bei der Behandlung von Demenz und Parkinson helfen.
Berlin (Deutschland). Eine hohe Intelligenz wird meistens mit einem „schnellen“ Denken assoziiert. Menschen mit einem hohen Intelligenzquotienten (IQ) sollen also besonders zügig Probleme lösen können. Forscher des Berlin Institute of Health (BIH) der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun untersucht, ob dies tatsächlich der Realität entspricht.
Ein Team um Professorin Dr. Petra Ritter, Direktorin der Sektion Gehirnsimulation am BIH, analysierte dazu Gehirndaten von 650 Teilnehmer des Human Connectome Project (HCP), eine Initiative, die seit über zehn Jahren die Nervenverbindungen im menschlichen Gehirn untersucht.
Die Probanden absolvierten umfangreiche Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit und einen standardisierten IQ-Test. Dabei mussten die Teilnehmer unter anderem in einer Reihe vorgestellter Sequenzen identifizierten, wobei die zugrunde liegenden logischen Regeln mit zunehmender Aufgabenschwierigkeit komplizierter wurden. Man könnte das anhand einfacher alltäglicher Aktionen veranschaulichen: Eine leicht zu bewältigende Aufgabe wäre etwa der spontane Bremsvorgang bei einem roten Ampelsignal, während das sorgfältige Planen einer Route auf einer Landkarte eine bedeutend anspruchsvollere Herausforderung darstellen würde.
Die Wissenschaftler des BIH haben auf Basis der Datend es HCP die Gehirne der 650 Probanden an Computer simuliert. Sie konnten so untersuchen, wo die Gehirne Entscheidungen treffen.
„Wir wollen verstehen, wie das Gehirn Entscheidungen fällt, und warum sie bei verschiedenen Personen unterschiedlich ausfallen. Wir können sehr effizient die Aktivität individueller Gehirne reproduzieren. Dabei haben wir festgestellt, dass sich diese „in silico“ Gehirne unterschiedlich verhalten – und zwar so wie ihre biologischen Counterparts. Unsere virtuellen Avatare spiegeln die Leistungsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit der biologischen Pendants wider.“
Die personalisieren Gehirnsimulationen zeigen, dass Menschen mit einem hohen IQ einfache Probleme schneller lösen als Menschen mit einem durchschnittlichen oder geringen IQ. Bei komplexen Problemen ist es hingegen umgekehrt. Menschen mit einem eher geringen IQ kommen hier also schneller zu einem Ergebnis als Menschen mit einem hohen IQ.
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Communications zeigen die Gehirnsimulationen die Ursache dafür. Bei Menschen mit einem geringen IQ ist die Synchronisation zwischen den Hirnarealen geringer. Sie kommen dadurch zu voreiligen Schlüssen, anstatt auf die Verarbeitungsschritte zur Problemlösung von vorgeschalteten Gehirnregionen zu warten. Die Gehirne der Probanden mit einem hohen IQ hatten eine deutlich bessere Synchronisation. Sie warteten also auf die Verarbeitungsschritte der vorgeschalteten Gehirnregionen und kamen dadurch langsamer zu einem Ergebnis. Wie Michael Schirner erklärt, waren die langsam erlangten Ergebnisse aber deutlich öfter korrekt.
„Die Synchronisation, also das Bilden funktionaler Netzwerke im Gehirn, verändert die Eigenschaften des Arbeitsgedächtnisses und somit auch die Fähigkeit, längere Zeit ohne Entscheidung auszuhalten. Bei komplizierteren Aufgaben muss man Dinge im Arbeitsgedächtnis behalten, während man weitere Lösungen sucht, und diese dann miteinander in Einklang bringt. Dieses Sammeln von Beweisen für eine bestimmte Lösung dauert manchmal länger, führt dann aber auch zu besseren Ergebnissen. Wir konnten mit dem Modell zeigen, wie die Balance zwischen Anregung und Hemmung auf der groben Ebene des gesamten Gehirnnetzwerks die Entscheidungsfindung und das Arbeitsgedächtnis auf der feinen Ebene einzelner Nervengruppen beeinflusst.“
Laut Ritter können die Ergebnisse der Studie in Zukunft bei der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson helfen.
„Die in dieser Studie wesentlich verbesserte Simulationstechnologie kann auch der personalisierten in silico Planung von chirurgischen oder medikamentösen Eingriffen oder der Gehirnstimulation zugute kommen. So kann der Arzt bereits durch eine Comutersimulation abschätzen, welcher Eingriff oder welches Medikament für einen bestimmten Patienten oder eine bestimmte Patientin am besten wirken könnte und die geringsten Nebenwirkungen hätte.“
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-38626-y