Läsionsnetzwerk-Mapping zeigt:

Ist religiöser Fundamentalismus im Gehirn sichtbar?

Robert Klatt

Gehirnuntersuchung offenbart biologische Ursache für Fundamentalismus )kcotS ebodAueihttaM(Foto: © 

Religiöser Fundamentalismus kommt in vielen Kulturen vor. Eine Analyse von Gehirnstrukturen zeigt nun, ob die Gehirne von religiösen Fundamentalisten biologische Unterschiede besitzen.

Boston (U.S.A.). Wissenschaftler des Brigham and Women’s Hospital haben laut einer Publikation im Fachmagazin Biological Psychiatry bereits 2021 entdeckt, dass der Sinn für Spiritualität und Religion tief in einem alten Gehirnareal des Menschen verwurzelt ist. Wenn dieser Gehirnbereich bei Operationen verletzt wird, nehmen die religiösen Gefühle der Patienten zu oder ab. Es gilt somit als belegt, dass die Spiritualität stark mit neurobiologischen Funktionen verknüpft ist.

Forscher der Harvard Medical School (HMS) haben angesichts dieser Erkenntnisse untersucht, ob Gehirne von religiösen Fundamentalisten ebenfalls besondere biologische Merkmale besitzen. Religiöser Fundamentalismus ist ein Phänomen, das in vielen Kulturen existiert und sich dadurch kennzeichnet, dass Fundamentalisten ihren Glauben für die einzige Wahrheit halten und diesen gegenüber anderen Personen entschieden verteidigen, oft auch mit Gewalt.

Gehirnstruktur von 190 Menschen analysiert

Laut der Publikation im Fachmagazin PNAS haben die Wissenschaftler für ihre Studie die Gehirnstrukturen von 190 Menschen analysiert, die aufgrund unterschiedlicher Hirnschäden in Behandlung waren. Die Hirnschäden wurden unter anderem durch Tumore, Kriegstraumata und Schlaganfälle ausgelöst.

„Wir verwenden Läsionsnetzwerk-Mapping, eine Technik, die mithilfe von Konnektivitätsdaten funktionelle Gehirnnetzwerke identifiziert.“

Neben dem Läsionsnetzwerk-Mapping haben die Forscher mit psychologischen Verfahren die religiöse Überzeugung und den eventuell vorhandenen, religiösen Fundamentalismus der Probanden untersucht.

Neuronale Netzwerke in der rechten Hirnhälfte

Die Analyse der Gehirnstrukturen zeigt, dass neuronale Netzwerk, die fast alle in der rechten Hirnhälfte liegen, darunter der dorsolaterale präfrontale Cortex, der untere Parietallappen und der rechte orbitofrontale Cortex, mit religiösem Fundamentalismus in Verbindung stehen.

„Wir fanden ein Netzwerk von Gehirnregionen, die, wenn sie beschädigt werden, mit stärkerem religiösem Fundamentalismus verbunden sind.“

Die assoziierten Gehirnareale gehören zum Stirnlappen und Scheitellappen, also Bereiche des Organs, die für das Überprüfen von Argumenten und das logische Denken entscheidend sind. Die Studie zeigt somit, dass Schäden in diesen Hirnregionen ein Mitauslöser von religiösem Fundamentalismus sein können. Ähnliche Gehirnschäden wurden auch bei Menschen gefunden, die frei erfundene Geschichten verbreiten. Die Forscher sind deshalb der Ansicht, dass Hirngespinste und religiöser Fundamentalismus identische neurologische Grundlage haben können.

„Dieses mit Fundamentalismus assoziierte funktionelle Netzwerk überlappt sich mit den Lokalisationen von Hirnläsionen, die mit bestimmten neuropsychiatrischen und Verhaltenszuständen verbunden sind.“

Laut den Wissenschaftlern sollten die Ergebnisse jedoch nicht überinterpretiert werden. Menschen mit entsprechenden Gehirnschäden sind nicht automatisch Fundamentalisten.

„Viele Faktoren tragen zum Fundamentalismus bei, darunter affektive, kognitive, erfahrungsbezogene, genetische, familiäre, institutionelle, entwicklungsbezogene und kulturelle Variablen.“

Biological Psychiatry, doi: 10.1016/j.biopsych.2021.06.016)

PNAS, doi: 10.1073/pnas.2322399121

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