Robert Klatt
In Deutschland gefährden viele Autofahrer aus medizinischen Gründen den Verkehr. Vorgeschriebene Überprüfungen für Senioren gibt es bisher aber nicht.
Heidelberg (Deutschland). In den meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) existieren bereits Richtlinien für obligatorische Gesundheitskontrollen für Senioren, die am Straßenverkehr teilnehmen möchten. Wie Frank Tost von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) erklärt, schreibt die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) in Deutschland lediglich eine einmalige Sehkontrolle vor der Führerscheinabnahme vor.
„Es liegt danach in der Selbstverantwortung eines jeden Verkehrsteilnehmenden, eine augenärztliche Beratung in Anspruch zu nehmen und erforderlichenfalls die Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Rahmen einer medizinischen Begutachtung zu beauftragen.“
Eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigt nun, dass die meisten Menschen ihre Sehfähigkeit stark überschätzen. Ein Großteil (99,2 %) der Sehfähigkeit Probanden ging davon aus, dass ihre Sehfähigkeit eher gut bis sehr gut ist. Bei einem Sehtest fielen 16,4 Prozent der Teilnehmer mit einer tatsächlichen Sehschärfe unter 0,7 jedoch durch.
„Sie dürften so gar nicht mehr ohne weiteres am Steuer sitzen.“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein Pilotprojekt der Polizei Niedersachsen in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), in dessen Rahmen bei unterschiedlichen Autofahrern die medizinische Überprüfung der Fahrtauglichkeit erfolgte. Bei einem Teil der überprüften Personen wurde anschließend die Fortsetzung der Fahrt aufgrund von unzureichender Sehfähigkeit untersagt.
Laut dem Experten der DOG ist es essenziell, Anzeichen verbreiteter Augenleiden frühzeitig zu identifizieren und einen Termin beim Augenarzt zur Überprüfung zu vereinbaren.
„Ein typisches Anzeichen etwa für den Grauen Star sind Störungen des Dämmerungssehens und erhöhte Blendempfindlichkeit. Betroffene fühlen sich bei Nachtfahrten zunehmend unsicher, sie fahren langsamer, sind schnell geblendet durch entgegenkommende Fahrzeuge oder bremsen zu spät, weil sie Stoppschilder nicht erkennen.“
Im fortgeschrittenen Alter nimmt die Fähigkeit, bei Nacht zu sehen, ab. Ebenso erhöht sich mit den Jahren die Wahrscheinlichkeit, am Grünen Star zu erkranken, von dem rund acht Prozent der Menschen über 75 betroffen sind. Diese Augenkrankheit ist heimtückisch: Verkehrsschilder, andere Autos, Passanten und Radfahrer verschwinden plötzlich aus dem Sichtfeld und erscheinen unerwartet wieder.
„Das Risiko von Unfällen mit lebensgefährlichem Ausgang steigt beim Glaukom immens an. Deshalb raten wir zu regelmäßigen augenärztlichen Untersuchungen mindestens ab dem 60. Lebensjahr.“
Die Befürchtung, umgehend den Führerschein einzubüßen, ist oftmals nicht gerechtfertigt. Denn vielfach können Sehhilfen, operative Eingriffe oder angepasste Verhaltensmuster helfen. In unsicheren Fällen empfehlen Augenärzte eine Tauglichkeitsuntersuchung, die mit Kosten zwischen 80 und 100 Euro selbst zu tragen ist.
„Beim Grauen Star etwa kann das die Empfehlung sein, auf Nachtfahrten nach Sonnenuntergang zu verzichten oder sich einem Linsentausch zu unterziehen. In jedem Fall sollten Betroffene es ansprechen, wenn sich am Fahrverhalten etwas verändert hat.“
Die EU strebt eine Reform des Führerscheinrechts an, die besonders ältere Verkehrsteilnehmer betreffen könnte. Es wird überlegt, Fahrtauglichkeitstests für Senioren einzuführen, um die Sicherheit auf den Straßen zu gewährleisten. Schon im März 2023 präsentierte die EU-Kommission einen Entwurf, der Überprüfungen für Personen ab 70 vorsieht, einschließlich eines Sehtests.