Robert Klatt
Eine neue Studie zeigt erstmals, wie Karies-Bakterien sich durch einen komplexen Biofilm aus normalen Mundbakterien vor antiviralen Wirkstoffen schützen.
Philadelphia (U.S.A.). In Deutschland ist Karies laut Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) noch vor Herz-Kreislauf-Problemen die am stärksten verbreitete Volkskrankheit. Dies liegt vor allem an den individuellen Lebensgewohnheiten, allen voran an der oft sehr zuckerhaltige Ernährung und der mangelhaften Mundhygiene. Wie kürzlich eine Studie University College London (UCL) zeigte, sind aber auch unregelmäßige Prophylaxebehandlungen verantwortlich für die zunehmenden Fälle von Karies, Zahnfleischerkrankungen, Parodontitis und Mundkrebs.
Neben den starken Schmerzen sorgen Karies und andere Zahnprobleme laut dem Zahngesundheitsatlas 2019 der Krankenkasse Barmer auch für hohe Zuzahlungen. Ein Ersatz eines einzelnen Zahns kostete im vergangenen Jahr im bundesweiten Mittel beispielsweise mehr als 1.500 Euro. Die Experten berichten deshalb, dass immer mehr gesetzliche Versicherte eine private Zusatzversicherung abschließen, die es ihnen ermöglicht die medizinisch bestmögliche Versorgung in Anspruch zu nehmen, ohne dabei an hohe Zuzahlungen denken zu müssen.
Eine nun veröffentlichte Studie University of Pennsylvania in Philadelphia, die im Fachmagazin PNAS publiziert wurde, liefert neue Erkenntnisse über Karies. In Zukunft könnten die Studienergebnisse somit dazu beitragen diese Krankheit, die weltweit bei 2,3 Milliarden Menschen Schäden am Zahnschmelz und Löcher in den Zähnen verursacht hat, besser zu bekämpfen.
Bisher konnte die Wissenschaft belegen, dass Karies durch Bakterien der Streptococcus mutans ausgelöst wird, die bei mangelhafter Mundhygiene Plaques auf der Zahnoberfläche bilden. Es handelt sich dabei um einen schützenden Biofilm, unter dem die Bakterien Säure produzieren, die zu Zahnschmelzschäden führt. Wie die Bakterien diesen Biofilm erzeugen, war bislang jedoch unbekannt.
Nun haben Wissenschaftler um Dongyeop Kim untersucht, wie Bakterien ihre schützenden Plaques bilden. Dazu wurden Mikrobenbeläge auf Zähnen untersucht, die Kindern zuvor vor einem Zahnarzt gezogen werden mussten. Die interne Struktur der Beläge konnten die Forscher mithilfe der konfokalen Lasermikroskopie und mit Fluoreszenzmarkern sichtbar machen. Dabei fanden sie heraus, dass die Zahnbeläge aus komplexen Strukturen bestehen.
Erwartet hatten die Wissenschaftler eigentlich einen deutlich simpleren Aufbau. Laut den Beschreibungen der Studienautoren sind die Strukturen vergleichbar mit der Oberfläche eines Maiskolbens oder einer Seegraswiese. Bei 21 von 30 Zahnproben wurde außerdem eine besonders auffällige „dreidimensionale kuppelförmige Struktur“ entdeckt, die der Zahnmedizin bislang ebenfalls unbekannt war. Wie Kim erklärt, „erwies sich diese einzigartige Kuppel-Architektur als Landmarke für die kommunale Organisation der Mikroben auf von Karies befallenen Zähnen.“
Anschließend untersuchten die Wissenschaftler den Aufbau der kuppelförmigen Biofilme, die im Inneren aus mehreren Schichten des Karies-Erreger Streptococcus mutans bestehen. Die äußere Hülle des Biofilms besteht hingegen aus harmlosen Mundbakterien, die auch bei völlig gesunden Personen vorkommen. Experimente belegen außerdem, dass diese Struktur nicht zufällig entsteht, sondern gezielt von der Streptococcus mutans Bakterien gefördert wird. Diese geben zur Stabilisierung des Biofilms extrazelluläre Schleimfäden ab, die als Grundlage des Biofilms dienen.
Es entsteht so aus einer flachen Grundstruktur in Kürze ein dreidimensionales Gebilde, in dessen Zentrum die Karies-Bakterien ihre Säure erzeugen. Weitere Versuche zeigen, dass der Aufbau des Plaques durch die Außenschicht zum einen die Karies-Bakterien vor antimikrobiellen Wirkstoffen schützt und andererseits ein Klima bildet, das ideal zur Herstellung der sauren Bedingungen ist.
Um die Wirkung des Biofilms zu untersuchen, behandelten die Wissenschaftler sowohl beschädigte als auch intakte Kuppeln mit Antiseptikum Chlorhexidin. Dieser Wirkstoff befindet sich in vielen Mundspülungen und wird auch in der professionellen Zahnreinigung häufig angewendet. Karies-Bakterien, die nur durch beschädigte Kuppelbeläge geschützt waren, konnten so beseitigt werden. Bei den Bakterien mit einem intakten Biofilm erzielte das Chlorhexidin hingegen nahezu keine Wirkung.
Wie Kim erklärt, „unterstreichen die Studienergebnisse die Bedeutung der Biogeografie des Mikrobioms, denn die räumliche Struktur von pathogenen und kommensalen Mikroben kann das lokale Schadenspotenzial bestimmen.“ Weitere Studien sollen nun nach Möglichkeiten suchen auch Karies-Bakterien mit intakten Biofilmen abtöten zu können.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.1919099117