Robert Klatt
APOBEC-Enzyme, die eigentlich Krankheiten abwehren sollen, greifen auch eigene Zellen des Menschen an und verursachen dabei Mutationsnebel, die besonders häufig Krebs auslösen.
Barcelona (Spanien). Karzinogene Chemikalien, Tabakrauch aber auch E-Zigaretten, nächtliche Schichtarbeit und andere äußere Einflüsse sowie interne Faktoren wie der explosive Chromosomenzerfall und fehlgeleitete Enzyme lassen DNA-Schäden und Mutationen entstehen. Dies sorgt dafür, dass der normale Kontrollmechanismus der menschlichen Zellen nicht richtig arbeitet und das entartete Zellen nicht mehr durch das zellulären Selbstmordprogramm beseitigt werden, sondern sich unkontrolliert vermehren und so schlussendlich Krebs auslösen.
Wissenschaftler der Institute for Research in Biomedicine (IRB Barcelona) haben im Fachmagazin Nature Genetics nun eine bisher unbekannte Form einer krebsfördernden Mutation vorgestellt. Der von den Studienautoren entdeckte Klumpen legt sich wie ein Nebel über das Genom. Dabei baut der sogenannte Mutationsnebel falsche Basen in einen der beiden DNA-Stränge ein.
Ausgelöst werden diese Veränderung durch eine Reihe von Cytosin-Desaminasen. Laut den Studienautoren „verteidigen diese Enzyme uns gegen Viren, indem sie deren genetisches Material schädigen.“ Dies geschieht, indem die Enzyme sich zum Beispiel an der Boten-RNA eines Virus anlagern, dort Basen austauschen und den Gencode des Krankheitserregers dadurch schädigen.
Dabei kommt es teilweise aber zu fehlgeleiteten Angriffen, bei denen die sogenannten APOBEC-Enzyme statt Viren-RNA die DNA des Menschen schädigen. Wie Mas-Ponte erklärt, „geschieht dies dann, wenn Stellen des Erbguts durch die Reparaturmechanismen der Zellen ausgebessert werden müssten.“ Der DNA-Doppelstrang wird während dieses Vorgangs kurzzeitig gespalten, was es dem Enzym ermöglicht, an einem der Stränge Mutationen auszulösen.
Besonders häufig treten diese Reparaturmechanismen unter anderem bei Tumorsuppressorgenen auf, also Genen, die eigentlich eine Mutation verhindern sollen. Dies führt dazu, dass der Mutationsnebel im Vergleich mit anderen Mutationen deutlich häufiger Krebs auslöst. Laut den Studienautoren „haben diese Mutationen einen starken krebserregenden Effekt, der mit 0,47 onkogenen Mutationen pro tausend etwa doppelt so hoch liegt wie bei bekannten externen Mutagenen wie Tabakrauch oder UV-Strahlung.“
Eine Analyse von 6.000 Krebsgenomen zeigt, dass vor allen Brustkrebs und Lungenkrebs häufig durch Mutationsnebel ausgelöst werden. Außerdem zeigen andere Studien, dass diese enzymbedingten Mutationen bei fortgeschrittener Krebserkrankungen besonders aktiv sind. Dies könnte dafür sorgen, dass Tumore eine höhere Resistenz gegen Krebstherapien entwickeln. Laut Supek „könnte APOBEC deshalb ein attraktiver Ansatzpunkt für neuen Therapien sein, die dies verhindern.“
Unklar bleibt weiterhin, warum die APOBEC-Enzyme teilweise die eigenen Zellen angreifen. Weitere Studien sollen auf diese Frage aber bald eine Antwort liefern.
Nature Genetics, doi: 10.1038/s41588-020-0674-6