Robert Klatt
Eine KI kann nur anhand der Patientendaten mit hoher Genauigkeit bereits drei Jahre vor der Diagnose erkennen, ob bei einem Menschen Bauchspeicheldrüsenkrebs entsteht. Die Früherkennung erhöht die Heilungschancen deutlich.
Boston (U.S.A.). Bauchspeicheldrüsenkrebs, medizinisch als Pankreaskarzinom bekannt, ist eine besonders aggressive Form von Krebs. In Deutschland ist Bauchspeicheldrüsenkrebs eine der häufigsten krebsbedingten Todesursachen, mit jährlich etwa 19.000 Neuinfektionen. Aufgrund seiner späten Symptombildung und des schnellen Fortschreitens ist Bauchspeicheldrüsenkrebs häufig bei Diagnose bereits weit fortgeschritten.
Dies führt zu einer eher niedrigen 5-Jahres-Überlebensrate (10 %) und einer medianen Überlebensdauer von sechs bis zehn Monaten nach Diagnosestellung. Trotz erheblicher Fortschritte in der medizinischen Forschung und Behandlung bleiben die Prognose und die Überlebensraten für Pankreaskarzinompatienten weiterhin herausfordernd.
Forscher der Harvard Medical School (HMS) und der Universität Kopenhagen haben nun eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die die Überlebenschance deutlich erhöhen kann. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Medicine kann die KI ausschließlich anhand der Patientenakten Menschen mit einem erhöhtem Risiko Bauchspeicheldrüsenkrebs erkennen. Die Prognose der Krebserkrankung ist bis zu drei Jahre vor der eigentlichen Diagnose mit hoher Genauigkeit möglich.
Um die KI zu trainieren, nutzten die Forscher Krankheitsgeschichten von neun Millionen Menschen aus den U.S.A. und Dänemark. Auf Basis der Trainingsdaten ermittelte die KI Muster, die für Menschen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs typisch sind. Das Modell ist in der Lage, Prognosen zu treffen hinsichtlich der Patienten, die voraussichtlich zukünftig eine Pankreaskarzinom-Diagnose erhalten würden. Die Wissenschaftler betonen, dass es bemerkenswert ist, dass viele der Symptome keine direkte Verbindung zur Bauchspeicheldrüse aufwiesen oder von dieser ausgingen.
Die Wissenschaftler untersuchten diverse Varianten der KI-Modelle auf ihre Kompetenz, Individuen mit einem erhöhten Risiko für die Manifestation einer Krankheit über verschiedene Zeiträume hinweg – sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre und drei Jahre – zu identifizieren.
Jede Ausführung des KI-Algorithmus übertraf in puncto Genauigkeit bei der Prognose der Entwicklung eines Pankreaskarzinoms deutlich die gegenwärtigen Schätzungen zur Krankheitsinzidenz in der Gesamtbevölkerung. Hierbei bezieht sich Inzidenz auf die Frequenz, mit welcher eine Krankheit in einer Bevölkerung über einen bestimmten Zeitraum auftritt.
Die Forscher äußerten die Überzeugung, dass das Modell bei der Prognose von Krankheitsfällen mindestens so präzise ist wie gegenwärtige Tests zur genetischen Sequenzierung, die normalerweise lediglich für eine kleine Patientenuntergruppe in Datensätzen verfügbar sind.
Aktuell existieren, keine Instrumente, die auf Bevölkerungsebene ein lückenloses Screening für Pankreaskarzinom ermöglichen. Individuen mit genetischen Mutationen und familiärer Prädisposition für diese Krebsart werden zwar spezifisch untersucht. Allerdings könnten bei solchen gezielten Screenings andere Fälle, die nicht in diese Kategorien einzuordnen sind, unentdeckt bleiben. Chris Sander fügte hinzu, dass eine umfangreiche Anwendung eines solchen Verfahrens die Diagnose von Pankreaskarzinom beschleunigen, eine zeitigere Therapie ermöglichen, die Behandlungsergebnisse optimieren und die Lebensdauer der Patienten verlängern könnte.
„Eine der bedeutendsten Entscheidungen, mit denen Ärzte tagtäglich konfrontiert werden, besteht darin zu ermitteln, wer ein hohes Risiko für eine Erkrankung aufweist und wer von weiterführenden Untersuchungen profitieren würde. Diese können jedoch auch invasivere und kostspieligere Verfahren bedeuten, die ihrerseits Risiken mit sich bringen. Ein KI-Werkzeug, das gezielt die Personen mit dem höchsten Risiko für Pankreaskrebs identifizieren kann, die den größten Nutzen aus weiteren Tests ziehen würden, könnte maßgeblich zur Verbesserung der klinischen Entscheidungsfindung beitragen.“
Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02332-5