Robert Klatt
Eine Studie hat die Lebenserwartung in Deutschland im westeuropäischen Vergleich untersucht. Nun wurde publiziert, wo die Bundesrepublik im Ranking der 16 Ländern liegt.
Wiesbaden (Deutschland). Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) hat die durchschnittliche Lebenserwartung von 16 westeuropäischen Ländern untersucht. Laut der Publikation im European Journal of Epidemiology ist die Lebenserwartung in Deutschland sowohl bei Frauen (14) als auch bei Männern (15) innerhalb der untersuchten Ländern mit am geringsten. Die Spitzenposition bei Frauen nehmen Spanien und Frankreich ein und bei Männern die Schweiz und Schweden.
Der primäre Faktor für die schlechte Position Deutschlands ist die hohe Mortalität durch kardiovaskulärer Krankheiten, erklärt der Mortalitätsforscher Pavel Grigoriev.
„Dass Deutschland bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zurückliegt, ist Anlass zur Sorge, da diese heutzutage als weitgehend vermeidbar gelten.“
Um dies zu analysieren, hat die Studie die Todesursachenstatistik Deutschlands mit sechs gezielten Nationen verglichen. Im Gegensatz zu führenden Ländern in Bezug auf die Lebensdauer, wie Japan, Spanien, die Schweiz und Frankreich, weist Deutschland insbesondere bei kardiovaskulären Erkrankungen eine negative Bilanz auf.
Bei der altersspezifischen Gegenüberstellung zeigt sich, dass bei Männern bereits ab dem 50. Lebensjahr Lebensdauerverluste im Vergleich zu den führenden Ländern auftreten. So büßt Deutschland fast ein Lebensjahr gegenüber der Schweiz ein, allein durch erhöhte Sterberaten im Alter zwischen 50 und 65 Jahren. Bei den Frauen hingegen resultiert der Rückstand vorrangig aus einer gesteigerten Mortalität im Alter von über 65 Jahren.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es Mängel in der Prävention, speziell von kardiovaskulären Beschwerden, existieren. Laut Sebastian Klüsener, dem Forschungsdirektor am BiB, behindert eine verspätete Erkennung dieser Erkrankungen zudem die wirksame Behandlung.
„Unsere Analysen verdeutlichen den Nachholbedarf, den Deutschland in diesem Bereich hat. Durch eine bessere Vorbeugung von Krankheiten können nicht nur Gesundheitskosten gespart, sondern auch das Wohlbefinden der Bevölkerung gesteigert werden.“
Inzwischen hat auch der Staat den Handlungsbedarf erkannt. Deutlich wird dies etwa an den unterschiedlichen Maßnahmen zur besseren Prävention im Koalitionsvertrag.
„Bei dem Thema ist aber nicht nur der Staat, sondern sind wir alle gefragt. Etwa indem wir uns gesünder ernähren und mehr bewegen.“
Angesichts des finanziell aufwendigen deutschen Gesundheitssystems mit seinen hohen technologischen Standards könnten die Forschungsergebnisse verwundern.
„Große wirtschaftliche Stärke und ein für den Großteil der Bevölkerung gut zugängliches und leistungsfähiges Gesundheitssystem stehen in Kontrast zu einer westeuropäischen Schlusslichtposition bei der Lebenserwartung.“
Die Diskrepanz zwischen den beachtlichen Investitionen in die Gesundheitspflege und den Lebenserwartungsergebnissen kann als Alarmzeichen für die Langlebigkeit des Gesundheitssystems gesehen werden. Vor allem im Hinblick auf die zukünftig wachsenden gesundheitlichen Herausforderungen, die durch die Alterung der Babyboomer-Generation entstehen, gewinnt diese Einschätzung an Bedeutung.
European Journal of Epidemiology, doi: 10.1007/s10654-023-00995-5