Robert Klatt
Eine Infektion mit Lepra-Bakterien regt das Leberwachstum an. Die dabei aktiven Mechanismen könnten Leberkranke retten, für die keine Spenderorgane gefunden werden.
Edinburgh (Schottland). Die chronische Infektionskrankheit Lepra wird durch das Mycobacterium lepra verursacht und verbreitet sich vor allem bei schlechten Hygienebedingungen. Inzwischen kommt Lepra vor allem in Ländern wie Brasilien, Indien und Indonesien vor. Im Mittelalter war sie auch in Europa weit verbreitet. Wenn die Krankheit durch Antibiotika rechtzeitig behandelt wird, kann sie gut bekämpft werden. Bleibt die Behandlung aus oder erfolgt zu spät, kann Lepra auffällige Veränderungen an Haut, Schleimhäuten, Nervengewebe und Knochen des Wirtes auslösen.
Die Medizin beschäftigt sich zudem mit Lepra-Bakterien, weil deren Fähigkeit, Wirtszellen zu verändern, neue Behandlungsmethoden eröffnen könnte. Wissenschaftler um Samuel Hess von der University of Edinburgh haben nun entdeckt, dass Lepra-Bakterien die Leber wachsen lassen und dazu führen, dass das Organ seine gesunde Struktur behält.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Cell Reports Medicine infizierten sie 32 für Lepra anfällige erwachsene Gürteltiere (Dasypus novemcinctus) mit dem Bakterium. Als Kontrollgruppen zwölf Gürteltiere, die nicht infiziert wurden, sowie dreizehn resistente Gürteltiere, bei denen sich das Bakterium trotz Infektion nicht ausbreiten konnte. Laut Hess konnten die Forscher in den Monaten nach der Infektion bei den infizierten Tieren ein starkes Wachstum der Leber beobachten.
„Im Vergleich zu nicht infizierten und resistenten Tieren vergrößerte sich die Leber bei den infizierten Gürteltieren innerhalb von zehn bis 30 Monaten deutlich. Die vergrößerten infizierten Lebern hatten eine intakte Architektur und Gefäßorganisation ohne Schäden, Narbenbildung oder Tumore.“
Anschließende Zellanalysen zeigten, dass die Infektion mit den Lepra-Bakterien Genexpressionsmuster in der Leber der erwachsenen Gürteltiere aktiviert, die ansonsten nur bei sehr jungen Tieren vorkommen. Diese Genexpressionsmuster regen die Zellvermehrung, das Wachstum und den Stoffwechsel des Organs an. Expressionsmuster, die die Alterung der Leber fördern, wurden hingegen verringert oder komplett unterdrückt.
Laut den Autoren entsteht diese Wirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil die Bakterien die Leberzellen verändern und in den Zustand ihrer Vorläuferzellen umwandeln. Diese Vorläuferzellen bilden laut Anura Rambukkana dann in neue Leberzellen und neues Lebergewebe.
„Wenn wir herausfinden können, wie Bakterien die Leber als funktionelles Organ züchten, ohne bei lebenden Tieren schädliche Auswirkungen zu verursachen, können wir dieses Wissen vielleicht nutzen, um sicherere therapeutische Maßnahmen zur Verjüngung alternder Lebern und zur Regeneration geschädigter Gewebe zu entwickeln.“
Weltweit sterben an Lebererkrankungen etwa zwei Millionen Menschen pro Jahr. Viele von ihnen können nicht behandelt werden, weil für die erforderlichen Lebertransplantationen nicht genügend Spenderorgane bereitstehen. Wenn die Leber dieser Menschen stattdessen mit Lepra-Bakterien wieder in gesunde Organe umgewandelt werden könnten, würde diese neue Behandlungsmöglichkeit viele Todesfälle verhindern.
Es ist jedoch nicht möglich, Leberkranke mit Lepra zu infizieren, weil es durch die Lepra-Infektion zu starken Nebenwirkungen kommen würde. Die Medizin muss deshalb eine Möglichkeit finden, die Mechanismen des Leberwachstums zu kopieren, um diese ohne Lepra-Infektion nutzbar zu machen.
Cell Reports Medicine, doi: 10.1016/j.xcrm.2022.100820