Robert Klatt
Ärzte haben einen schwerstverletzten Patienten durch starkes Herunterkühlen erstmals für eine Operation in den Scheintod versetzt. Die Gehirnaktivität wurde dabei fast vollständig eingestellt.
Baltimore (U.S.A.). In der Medizin galten zehn Minuten ohne Herzschlag lange Zeit als der sichere Tod. Dies liegt vor allem am Gehirn, bei dem Sauerstoffmangel in jeder Sekunde zu mehr Schäden führt. Dass dies jedoch nicht immer zutrifft, zeigen viele Berichte über den Scheintod. Inzwischen gab es auch Patienten, bei denen Ärzte noch nach Stunden ohne Herzschlag Behandlungserfolge erzielen konnten. Ermöglicht wird dies durch die seit etwa zwei Jahrzehnten eingesetzte therapeutische Hypothermie, bei denen die Körpertemperatur von Menschen mit Herz-Kreislauf-Versagen während oder unmittelbar nach ihrer Wiederbelebung mit Infusionen, Eis und Kühlpads gesenkt wird. Auch bei Herzoperationen wird in vielen Fällen der Patient heruntergekühlt.
Laut einem Artikel des Magazins New Scientist haben Wissenschaftler der University of Maryland School of Medicine (UMB SOM) nun eine neue Methode entwickelt, die durch starkes Herunterkühlen des Patienten, ähnlich wie beim kürzlich für Spenderorgane vorgestellten Supercooling-Verfahren, den Abbauprozess in den Zellen stoppt. Laut Studienleiter Samuel Tisherman bekommen Ärzte durch die neue Behandlungsmethode mehr Zeit für lebensrettende Operationen. An wie vielen Patienten das Verfahren bereits getestet wurde und wie viele der Patienten überlebten, wurde noch nicht veröffentlicht.
Neben der therapeutischen Hypothermie, bei der der Patient heruntergekühlt wird, nutzen die Forscher laut des New Scientist Artikels noch eine Salzlösung, die in die Blutbahn des Patienten injiziert wird. Das Verfahren wurde laut den Entwicklern erfolgreich an einem Patienten getestet, der mit einem Herzstillstand und einer schweren Schussverletzung in die Klinik eingeliefert wurde. Genutzt werden kann die experimentelle Behandlungsmethode bei Verletzten, die bereits mehr als ihr halbes Blut verloren haben. Aufgrund des experimentellen Status wird die neue Behandlungsmethode nur bei Patienten verwendet, deren Überlebenschance die Ärzte bei herkömmlichen Behandlungsmethoden auf unter fünf Prozent schätzen.
Die Kältebehandlung sorgt dafür, dass die Körpertemperatur des Patienten auf zehn bis 15 Grad sinkt. Weil dadurch die Gehirnaktivität fast vollständig eingestellt wird, ist der Mensch nach der bisherigen Definitionen dadurch nicht mehr am Leben. Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Köln, der an der Erforschung der neuen Behandlungsmethode nicht beteiligt war, erklärt, dass „man aus Tierversuchen weiß, dass das Prinzip funktioniert.“
Laut Böttiger „ist nichts wirksamer zum Schutz des Gehirns als die Kühlung.“ Ob die Kältebehandlung auch beim Menschen funktioniert, ist laut ihm derzeit noch nicht abzuschätzen, weil die US-amerikanischen Wissenschaftler ihre Ergebnisse bisher nicht veröffentlicht haben. Tisherman behauptet, dass die Kältebehandlung es ermöglicht Patienten für etwa zwei Stunden zu operieren. Danach wird dem Körper wieder Blut zugeführt und die Temperatur wird langsam erhöht.
Wie der Guardian berichtet, hat das Team um Tisherman laut einer Rede auf einem Symposium der New Yorker Akademie der Wissenschaften die Kältebehandlung erfolgreich bei einem Patienten angewandt. Auch die Zustimmung der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) liegt laut Tisherman vor. In Zukunft möchte Tisherman die Methode zur Erhaltung und Wiederbelebung in Notfällen an zehn schwerstverletzten Patienten erproben.