Robert Klatt
Der mittlere Intelligenzquotient (IQ) ist in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern gesunken. Die Konzentrationsfähigkeit ist in den letzten 20 bis 30 Jahren trotzdem gestiegen.
Wien (Österreich). In den meisten Industrienationen ist die Intelligenzkurve der Bevölkerung im 20. Jahrhundert deutlich gestiegen. Diese Entwicklung wird in der Wissenschaft Flynn-Effekt bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten ist die Intelligenzkurve aber merklich abgeflacht. In einigen Ländern stagnierte der die Entwicklung des durchschnittlichen Intelligenzquotienten (IQ), während der in manchen Ländern, darunter laut einer Publikation im Fachmagazin Intelligence auch die U.S.A., sank.
Die Ursachen für die Zunahme des durchschnittlichen IQs und die darauffolgende Stagnation beziehungsweise Abnahme konnten bisher nicht bestimmt werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Gene der Menschen keine wesentliche Rolle spielen, sondern dass stattdessen Umweltfaktoren wie die Ernährung die Trendumkehr ausgelöst haben.
Forscher der Universität Wien um Denise Andrzejewski haben im Fachmagazin Personality and Individual Differences nun eine Metastudie publiziert, die untersucht hat, ob auch die Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit von Erwachsenen dem Flynn-Effekt folgt. Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass sich die Konzentrationsfähigkeit in den letzten 20 bis 30 Jahren positiv entwickelt hat.
Laut den Forscher könnte die Entwicklung der Konzentrationsfähigkeit darauf zurückgehen, dass Leistung stärker nach Geschwindigkeit anstatt nach Genauigkeit bewertet wird. Ein impulsiveres Verhalten, das möglicherweise auf eine gestiegene gesellschaftliche Akzeptanz von Fehlern zurückzuführen ist, könnte ebenfalls zu diesem Trend beitragen.
Die Metastudie basiert auf der Analyse von Daten aus 179 Forschungsarbeiten, die insgesamt über 21.000 Personen aus 32 verschiedenen Ländern, darunter die U.S.A., Deutschland, Österreich und die Schweiz, umfassen. Die Probanden haben im Zeitraum von 1990 bis 2021 den d2-Test, ein standardisiertes psychologisches Verfahren, das die Bewertung der selektiven und dauerhaften Aufmerksamkeit ermöglicht, absolviert.
Im Rahmen dieses Tests sollen die Probanden innerhalb einer festgelegten Zeitspanne aus Zeilen, die jeweils 47 Zeichen umfassen, speziell markierte Kleinbuchstaben d und p identifizieren. Ein Vergleich der Testergebnisse über die vergangenen Jahrzehnte offenbart eine signifikante Steigerung der Konzentrationsfähigkeit im beobachteten Zeitraum.
Die positive Entwicklung der Konzentrationsfähigkeit konnte ausschließlich bei Erwachsenen beobachtet werden. Im Gegensatz dazu zeigte sich bei Kindern keine vergleichbare Entwicklung. Obwohl sie im Laufe der Jahre zunehmend schneller in der Bewältigung der Aufgaben wurden, stieg gleichzeitig die Anzahl der Fehler, die sie begingen.
Zusätzlich fiel auf, dass sich die Ergebnisse in den deutschsprachigen Ländern von jenen in anderen Regionen unterscheiden. Hier zeigte sich bei Kindern im Laufe der Studie eine Abnahme der Fehleranzahl anstatt einer Zunahme.
Im Gegensatz dazu verzeichneten Erwachsene in diesen Ländern nur eine geringe Verbesserung ihrer Konzentrationsfähigkeit. Trotz dieser Unterschiede ist das Forschungsteam der Überzeugung, dass die gesteigerte Aufmerksamkeitsleistung einen wesentlichen Beitrag zum Anstieg der Intelligenz leistet und somit den sogenannten Flynn-Effekt intensiviert.
Intelligence, doi: 10.1016/j.intell.2023.101734
Personality and Individual Differences, doi: 10.1016/j.paid.2023.112417