Robert Klatt
Wissenschaftler haben erstmals nahezu vollständige menschliche Haut aus embryonalen Stammzellen gezüchtet. In Zukunft soll die künstliche Haut zur Behandlung von Hautkrankheiten und für plastische Rekonstruktionen zum Beispiel von Brandverletzungen aber auch bei Haarausfall und Glatzen genutzt werden.
Bloomington (U.S.A.). Die Nachfrage nach Spenderorganen kann global nur in wenigen Ländern gedeckt werden. Die Wissenschaft sucht deshalb nach Möglichkeiten zum Züchten künstlicher Organe. Erfolge gab es dabei unter anderem mit einem künstlichen per 3D-Druck erzeugten Herz und einem sogenannten Hybrid-Herz aus Kunststoff und menschlichen Zellen. Außerdem wurden bereits neue Linsen, die Patienten mit Grauen Star helfen können, aus Stammzellen zu erzeugen.
Menschliche Haut, die aus mehreren Gewebeschichten besteht und neben Haut- und Fettzellen auch Blutgefäße, Nerven, Haarfollikel und Schweißdrüsen enthält, konnte bisher aufgrund ihrer hohen Komplexität allerdings noch nicht künstlich erzeugt werden.
Nun haben Wissenschaftler der Indiana University in Bloomington laut eines im Fachmagazin Nature publizierten Artikels erstmals menschliche Haut mit Nervenzellen, Haarfollikeln und Talgdrüsen aus Stammzellen gezüchtet, die anschließend erfolgreich auf Mäuse transplantiert wurde. Laut Karl Koehler, Co-Autor der Studie, „ist dies die erste Studie, die zeigt, dass auch menschliche Haare aus Stammzellen in einer Petrischale gezüchtet werden können.“
Als Basis der künstlichen Haut nutze das Team um Jiyoon Lee embryonale menschliche Stammzellen, die sich zu nahezu allen Zelltypen des Menschen weiterentwickeln können. Diese wurden in einer Petrischale mit Nährlösung kultiviert, der im Versuchsverlauf verschiedene Wachstumsfaktoren und Botenstoffe beigemischt wurden.
Bereits nach 70 Tagen entwickelte sich aus den Stammzellen ein rundlicher Klumpen, bei dem die Oberhaut, der Dermis und das Unterhautfettgewebe sichtbar waren. In den kommenden Wochen entstanden aus diesem Organoid anschließend erste Haare. Wie Koehler erklärt, „ragen die Haarwurzeln zunächst strahlenförmig nach außen aus dem Organoid heraus, wenn die Haarfollikel wachsen.“ Dies sieht laut dem Wissenschaftler „bizarr, fast ein wenig wie eine Tiefsee-Kreatur mit Tentakeln aus.“ In der weiteren Entwicklung der künstlichen Haut ordneten sich die Haarfollikel regelmäßig zueinander an.
Überdies bildeten sie Pigmente. Ein Teil der Stammzellen differenzierten sich in dieser Wachstumsphase zu Sinnes- und Nervenzellen. Laut Koehler „wuchsen ab Tag 125 diese neuronalen Fortsätze bis zum Epithel und wandelten sich um die Haarfollikel, ähnlich den noch unreifen Nervenenden eines menschlichen Fötus mit 18 Wochen.“
Eine Analyse der Genaktivität zeigte, dass die Zellen der organoiden Haut in diesem Zustand der Haut eines menschlichen Fötus stark ähnelt. Lee konstatiert somit, dass die Wissenschaftler „ein Kultursystem für Organoide entwickelt haben, das komplexe menschliche Haut aus pluripotenten Stammzellen erzeugen kann.“
Im weiteren Verlauf der Studie transplantierten die Forscher millimeterkleine Stückchen der künstlichen Haut auf Mäuse. Damit es nach der Transplantation nicht zu einer Abstoßung durch das Immunsystem kommt, wurde dessen Funktion vorher stark gedrosselt. In 55 Prozent der Fälle blieb die künstliche Haut inklusive der Haarfollikel auch nach der Transplantate aktiv und bildete Haare.
Es entstand so eine echte Haut, die fest mit der Körper der Tiere verwuchs. Laut Lee zeigen die Ergebnisse, dass „zystische Haut-Organoide sich entrollen können und zu flacher Haut heranwachsen.“ Folgestudien sollen nun untersuchen, ob die Hauttransplantate auch nach mehreren Monaten gesund bleiben oder ob Reaktionen des Immunsystems diese langfristig zerstören.
In der Medizin könnte die Zuchthaut in Zukunft zur Behandlung von Hautkrankheiten und Hautverletzungen genutzt werden. Taha Shipchandler, Co-Autorin erklärt, dass „dies die Art und Weise verändern könnte, wie wir viele Wunden und plastische Rekonstruktionen angehen.“
In einem Kommentar zur Studie schreiben auch Wang und George Cotsarelis von der University of Pennsylvania in Philadelphia, dass „die Studie des Teams um Lee ein großer Schritt hin zu einer Behandlung für Kahlheit beim Menschen ist und einen Weg hin zu anderen, noch größeren Therapiemöglichkeiten ebnet.“
Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2352-3