Robert Klatt
Mikroplastik kann die Blut-Gehirn-Schranke durchbrechen. Im Gehirn sorgen die Plastikpartikel für Verstopfungen der feinen Blutgefäße. Es kann dadurch zu Mikrothrombosen, Verhaltensänderungen und einer reduzierten Gedächtnisleistung kommen.
Peking (China). Menschen nehmen über das Trinkwasser, die Atemluft und unterschiedliche Lebensmittel tausende Mikroplastikpartikel pro Monat auf. Inzwischen wurden die kleinen Plastikteilchen in unterschiedlichen Organen nachgewiesen. Forscher des Daegu Gyeongbuk Institute of Science and Technology (DGIST) haben zudem eine Studie publiziert, laut der bestimmte Mikroplastikpartikel die Blut-Hirn-Schranke durchbrechen können und im Gehirn den Zelltod der Mikrogliazellen (Abwehrzellen) auslösen.
Nun haben Wissenschaftler der Chinese Research Academy of Environmental Sciences (CRAES) erneut untersucht, wie sich Mikroplastik auf das Gehirn auswirkt. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Advances haben sie dazu Mäusen über ihr Trinkwasser oder per Injektion Mikroplastik verabreicht. Die Konzentration in den Tieren im Blut lag bei der oralen Aufnahme bei 0,2 Milligramm pro Milliliter und bei der Injektion bei fünf bis 50 Mikrogramm pro Milliliter Blut.
Damit die Forscher die Bewegungen der Plastikpartikel durch den Körper beobachten können, haben sie diese zuvor mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert. Die Beobachtung der lebenden Mäuse zeigt, dass das Mikroplastik kurz nach der Aufnahme über das Trinkwasser oder die Injektion in die Blutgefäße des Gehirns gelangt.
Im Gehirn zirkuliert das Mikroplastik aber nicht frei in den Blutgefäßen, sondern wird von den Fresszellen des Immunsystems absorbiert. Normalerweise nehmen diese Zellen Krankheitserreger und andere Fremdkörper auf, um diese zu zerstören und den Körper vor Infektionen zu schützen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Immunzellen, die Mikroplastik aufgenommen haben, zu Verstopfungen der Kapillaren führen.“
Wie die Forscher erklären, können die Makrophagen das Plastik nicht abbauen. Die Partikel sorgen stattdessen dafür, dass die Immunzellen unflexibler werden und nicht mehr durch die feinen Blutgefäße des Gehirns passen. Es kommt dadurch zu Mikrothrombosen, die mehrere Tage bestehen.
Unterschiedliche Experimente mit den Mäusen zeigen, dass das Mikroplastik die Gedächtnisleistung negativ beeinflusst und motorische Störungen auslöst. Außerdem haben die Forscher Symptome von Depressionen bei den Tieren entdeckt.
Am stärksten waren die Verstopfungen im Gehirn und die dadurch entstehenden Effekte bei Mäusen, denen sechs bis zwölf Mikrogramm Mikroplastik pro Milliliter Blut injiziert wurde. Es handelt sich dabei laut den Wissenschaftlern um eine Konzentration, die auch beim Menschen realistisch ist. Verena Kopatz von der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien), die nicht an der Studie beteiligt war, ist jedoch der Ansicht, dass die aktuelle Mikroplastikbelastung bei Menschen nicht ausreicht, um Blutgerinnsel oder Mikrothrombosen auszulösen.
„Akut würde ich für einen Menschen aufgrund dieser Studie keine Bedrohung sehen, da die applizierten Dosen sehr hoch sind und direkt ins Blut appliziert wurden.“
Laut Kopatz war die Mikroplastikkonzentration bei den Mäusen deutlich höher als in nahezu allen Studien bei Menschen. Wie Karsten Grote vom Universitätsklinikum Gießen (UKGM) erklärt, ist es jedoch denkbar, dass die bei den Mäusen beobachteten Prozesse auch beim Menschen auftreten.
„Die Studie zeigt einen plausiblen Zusammenhang zwischen der Gabe von Mikroplastik, deren Aufnahme durch Immunzellen und einer verschlechterten Hirndurchblutung. Ob es daher beim Menschen zu vergleichbaren Effekten hinsichtlich der Hirndurchblutung und des Verhaltens kommt, lässt sich nur schwer abschätzen.“
Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.adr8243