Robert Klatt
Ein neuentdecktes Molekül aus Kastanienblättern ermöglicht die Behandlung von MRSA-Infektionen, ohne dass das Bakterium dadurch neue Resistenzen bildet.
Atlanta (U.S.A.). Das Bakterium Staphylococcus aureus kommt bei vielen Menschen in der natürlichen Bakterienflora vor, ohne eine Erkrankung auszulösen. Bei Menschen mit einem geschwächtem Immunsystem kann das auch als Krankenhauskeim bezeichnete Bakterium Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) sich jedoch massenhaft vermehren dadurch teilweise tödlich verlaufende Infektionen verursachen. In der Medizin gilt das Bakterium als besonders problematisch, weil es gegen zahlreiche Antibiotika resistent ist.
„Angesichts zunehmender Antibiotika-Resistenzen braucht die Welt neue Medikamente gegen Infektionskrankheiten. Alle bisher zugelassenen Antibiotika-Behandlungen wirken, indem sie die Bakterien töten oder ihr Wachstum hemmen“, erklärt ein Team um Akram Salam der Emory University in Atlanta. Diese Art der Behandlung begünstigt jedoch die Bildung von Resistenzen, weil Bakterien, die dem Antibiotikum entkommen, dadurch einen Selektionsvorteil erlangen. Die Wissenschaftler haben deshalb nach neuen Möglichkeiten zur von MRSA-Infektionen gesucht.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Frontiers in Pharmacology lieferten Recherchen in der Naturheilkunde dafür einen ersten Ansatz. „In der traditionellen italienischen Medizin wird eine Kompresse aus den gekochten Blättern der Edelkastanie auf die Haut aufgelegt, um Verbrennungen, Ausschläge und infizierte Wunden zu behandeln“, erläutert Cassandra Quave. Die Forscher untersuchten deshalb Blättern der Esskastanie (Castanea sativa) auf medizinisch wirksame Substanzen.
Dabei entdeckten sie das bisher unbekannte Molekül Castaneroxy A, das MRSA-Bakterien ohne die Förderung von Resistenzen unschädlich machen kann. „Wir haben gezeigt, wie der Wirkstoff Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus entwaffnet, indem er die Fähigkeit der Bakterien, Toxine zu produzieren, ausschaltet“, erklärt Quave. Die im Vergleich zu herkömmlichen Antibiotika besonderen Eigenschaften von Castaneroxy A liegen darin, dass der Wirkstoff nicht das Wachstum und Überleben der Bakterien direkt angreift, also auch nicht die Bildung von Resistenzen begünstigt, sondern lediglich die Kommunikation der Bakterien stört. Dies verhindert die Bildung von Giften und verringert die Virulenz.
„Wir waren in der Lage, dieses Molekül zu isolieren und reine Kristalle davon zu gewinnen, obwohl es nur 0,0019 Prozent der Kastanienblätter ausmacht“, sagt Quave. Damit das Molekül zur Entwicklung von Medikamenten genutzt werden kann, klärten die Forscher die dreidimensionale Kristallstruktur des Wirkstoffs. „Ob Castaneroxy A erfolgreich die therapeutischen Ergebnisse bei der Behandlung von MRSA-Infektionen verbessern kann – entweder allein oder als Ergänzung zu Antibiotika – bleibt abzuwarten“, konstatieren die Entdecker.
Tierversuche mit Mäusen
In ersten Tierversuchen mit Mäusen wurde die therapeutische Wirksamkeit bereits bestätigt. Dazu infizierten die offenen Wunden der Tiere mit MRSA. Anschließend wurden die Gruppen mit unterschiedlichen hohen Dosen des Wirkstoffs behandelt. Bei den unbehandelten Tieren entzündeten sich die Wunden stark und ein Teil der Tiere stark an ihrer Infektion. Bei den mit 10 Mikrogramm und 50 Mikrogramm behandelten Gruppen heilten die Verletzungen hingegen trotz der Bakterien gut ab. Eine höhere Dosis war hierbei effektiver.
Auch bei Experimenten mit menschlichen Hautzellen konnten das Potenzial von Castaneroxy A bestätigen. In sehr hohen Konzentrationen wirkt das Molekül aber cytotoxisch. Laut der Studie reicht zur Behandlung von MRSA aber eine Konzentration aus, die für den Menschen unbedenklich ist. „Wir legen den Grundstein für neue Strategien zur Bekämpfung bakterieller Infektionen auf klinischer Ebene. Anstatt uns zu sehr um die Behandlung des Erregers zu kümmern, konzentrieren wir uns auf Möglichkeiten, den Patienten besser zu behandeln. Unser Ziel ist es nicht, die Mikroben abzutöten, sondern Wege zu finden, sie so zu schwächen, dass das Immunsystem oder Antibiotika besser in der Lage sind, eine Infektion zu beseitigen“, erklärt Quave
Frontiers in Pharmacology, doi: 10.3389/fphar.2021.640179