Robert Klatt
Haarausfall kann bisher kaum behandelt werden. Laut einer neuen Theorie könnte ein molekularer Schalter das Haarwachstum regulieren. Ein einfaches „Aktivieren“ des Schalters könnte somit Glatzen verhindern und neue Haare sprießen lassen.
Taipei (Taiwan). Global leidet mehr als ein Drittel aller Männer an Haarausfall. Die Wissenschaft sucht deshalb intensiv nach Behandlungsmöglichkeiten, die die bestehenden Haare erhalten und das Wachstum von neuen Haaren fördern. Forscher der National Taiwan University (NTU) haben nun eine Studie publiziert, laut der Haarausfall durch das Aktivieren eines molekularen „Schalters“ behandelt werden könnte.
Laut der Publikation im British Journal of Dermatology haben die Wissenschaftler anhand einer Analyse der Evolution des menschlichen Kopfhaars eine neue Theorie entwickelt, die auf eine lange existierende Grundlage für das Wachstum von Kopfhaaren hindeutet. Menschen hatten demnach schon immer die Fähigkeit, langes Kopfhaar wachsen zu lassen. Das biologische Merkmal war jedoch so lange inaktiv, bis bestimmte Bedingungen erfüllt waren und es durch einen molekularen Schalter aktiviert wurde. Wie die Forscher erklären, soll diese Theorie als Grundlage für kommende experimentelle Studien dienen.
Wie die Autoren erklären, können Menschen extrem langes Kopfhaar wachsen lassen. Obwohl die Eigenschaften der Haare in unterschiedlichen sozialen Situationen eine wichtige Rolle spielen, weiß die Wissenschaft bisher nur darüber, wie dieses biologische Merkmal entstanden ist und welche Prozesse das Haarwachstum regulieren.
„Darüber hinaus spielen Eigenschaften des Kopfhaars — seine Länge, Form, Farbe und der Haarverlust — eine wesentliche Rolle in der sozialen Kommunikation. Sie signalisieren unsere Abstammung, unser Alter, unsere Gesundheit, sexuelle Reife und unseren sozialen Status, um nur einige Beispiele zu nennen.“
Frühere Studien zeigen zudem, dass sich in der Evolution des Menschen eng gelocktes Haar als Sonnenschutz entwickelt hat. Das Haar hat den Bedarf an starkem Schwitzen reduziert und bietet dadurch einen Schutz vor Dehydrierung.
In ihrer aktuellen Studie schlagen die Wissenschaftler deshalb vor, dass langes Kopfhaar entstanden ist, um Menschen in warmen Gegenden vor intensiver Hitze und Sonnenstrahlung zu schützen. Laut ihrer Theorie hat sich die Bedeutung der Kopfhaare in anderen Lebensbereichen erst danach entwickelt.
„Langes, eng gelocktes Haar war eine entscheidende Anpassung, die es unseren Vorfahren ermöglichte, in heißen, offenen Umgebungen zu überleben. Dieser Haartyp reduzierte nicht nur die Hitzeeinwirkung, sondern half auch, lebenswichtige Wasser- und Elektrolytreserven zu bewahren — ein Unterschied, der in extremen Bedingungen über Leben und Tod entscheiden konnte.“
Laut den Forschern soll das Verständnis über die evolutionäre Entwicklung von langen Kopfhaaren dabei helfen, die biologischen und nicht biologischen Funktionen besser zu verstehen. Die Wissenschaftler haben dazu auch unterschiedliche Tiere mit langen Haaren, etwa männliche Löwen, Orang-Utans, betrachtet, um zu untersuchen, wieso sich bei ihnen lange Haare entwickelt haben.
„Diese Beispiele zeigen uns, dass der molekulare Bauplan für das Wachstum von sehr langem Haar schon immer existierte, wenn auch oft in einem 'stummen' Zustand. Als menschliche Vorfahren die Fähigkeit entwickelten, extrem langes Kopfhaar wachsen zu lassen, wurde dies wahrscheinlich durch nur wenige genetische Veränderungen erreicht, die ein ruhendes Programm reaktivierten, anstatt durch die Evolution eines völlig neuen molekularen Mechanismus.“
Wie die Wissenschaftler erklären, hat ihre neue Theorie weitreichende Auswirkungen auf die medizinische Untersuchung des Haarausfalls. Sie soll dabei helfen, neue molekulare Behandlungen gegen Haarausfall zu entwickeln.
„Dieses Wissen könnte zu Behandlungen führen, die das Haarwachstum wiederherstellen und den emotionalen Stress lindern, der oft mit Haarausfall einhergeht.“
British Journal of Dermatology, doi: 10.1093/bjd/ljae456