Abkühlungsrate

Mord? Thermodynamisches Körpermodell bestimmt Todeszeitpunkt exakt

Robert Klatt

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Bei Mordverdacht wird der Todeszeitpunkt bisher mit dem Henssge-Modell bestimmt. Ein neues Verfahren könnte diese unpräzise Methode bald ablösen und Ermittlungen durch genauere Daten vereinfachen.

Amsterdam (Niederlande). Ermittlungsbehörden benötigen zur Rekonstruktion des Tathergangs im Falle eines Tötungsdelikts den möglichst genauen Todeszeitpunkt des Opfers. Wie eine Studie der Central Queensland University im vergangenen Jahr zeigte, können auch erfahrene Forensiker diesen Zeitpunkt jedoch oft nur ungenau bestimmen, weil menschliche Leichen sich noch Jahre nach dem Tod bewegen können.

Derzeit nutzen Rechtsmediziner zur Bestimmung des Todeszeitpunkts bei kürzlich verstorbenen Personen die Rektaltemperatur, die mit dem Henssge-Modell abgeglichen wird. Das Standardmodell der Forensik berücksichtigt neben dem Körpergewicht auch die Kleidung und den Oberflächenkontakt der Leiche, um anhand der Abkühlungsrate den Todeszeitpunkt zu ermitteln.

Henssge-Modell ist ungenau

Bei Abweichungen von den Standardbedingungen, beispielsweise bei sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen, liefert das Henssge-Modell allerdings nur unpräzise Daten. Außerdem wird die Statur einer Leiche nicht berücksichtigt, was bei besonders dicken oder besonders schlanken Menschen ebenfalls zu ungenauen Ergebnisse führt, weil die Statur maßgeblich das Auskühlen der Leiche beeinflusst.

Neues Modell berücksichtigt weitere Einflussfaktoren

Wissenschaftler der Universität Amsterdam haben Fachmagazin Science Advances nun eine neue Methode vorgestellt, die es ermöglicht den Todeszeitpunkt präziser zu bestimmen. Laut dem Team um Leah Wilk „sind in das Modell die Körperlage, die Figur sowie Umweltfaktoren wie die Beschaffenheit der Oberfläche, auf der der Körper liegt, die Kleiderbedeckung, das Eintauchen in Wasser und andere Parameter schon integriert.“

Geringer Aufwand am Tatort

Obwohl die neue Methode präzise Ergebnisse verspricht, müssen Ermittler am Tatort nur an ein bis vier Hautstellen mit einer Wärmebildkamera oder einem Sensor die Temperatur messen. Außerdem benötigt das Modell das Gewicht und die Größe des Toten und eine Reihe von Umgebungsfaktoren.

Anhand thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten wird aus diesen Daten der wahrscheinliche Todeszeitpunkt ermittelt. Außerdem hat die Messung der Temperatur der Haut anstatt der rektalen Messung laut den Wissenschaftlern den Vorteil, dass das Einführen des Thermometers mögliche Beweise nicht zerstört.

Todeszeitpunkt auf 38 Minuten genau bestimmt

Um die Präzision ihres Modells in der Praxis zu untersuchen, konnten die Wissenschaftler vier Leichen nutzen, deren genauer Todeszeitpunkt bekannt war. Es handelt sich dabei um einen großen, kräftig gebauten Mann, einen Mann mit einer durchschnittlichen Statur, eine stark übergewichtige Frau und eine sehr zierliche Frau. Gemessen wurde die Körpertemperatur bei allen Probanden an der Stirn, der Brust, dem Bauch und den Oberschenkeln.

Wie Wilk berichtet, „wichen im Durchschnitt die mit diesem Verfahren rekonstruierten Zeiten nicht mehr als 38 Minuten vom tatsächlichen Todeszeitpunkt ab.“ Der bisherige Goldstandard, das Henssge-Modell, hat hingegen eine Abweichung von drei bis sieben Stunden. Das neue computergestützte Modell kann laut den Forschern somit große Fortschritte für die Kriminalistik und die Rechtsmedizin liefern.

Maurice Aalders, Co-Autor erklärt, dass „die Wissenschaftler bereits an einer Methode arbeiten, mit der man den Leichnam am Tatort in 3D aufgezeichnet wird.“ Das Modell soll durch die zusätzlichen Informationen über die Haltung des Toten so noch präzisere Ergebnisse liefern.

Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.aba4243

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