Robert Klatt
Eine neue Behandlungsmethode hat 13 von 16 Querschnittsgelähmten die Möglichkeit zurückgegeben ihre Hände und Ellenbogen zu benutzen und so selbstständiger am Alltag teilhaben. Der Nerventransfer kann aber nur kurz nach einem Unfall erfolgen.
Canberra (Australien). Eine von australischen Wissenschaftlern und Chirurgen entwickelte Operationsmethode gibt Querschnittsgelähmten neue Hoffnung. Laut einer im Fachmagazin The Lancet veröffentlichten Fallstudie können nach einem Nerventransfer 13 von 16 behandelten Personen ihre Hände wieder selbstständig nutzen. Die Probanden der Fallstudie waren junge Menschen mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren, deren Querschnittslähmung weniger als 1,5 Jahre vor der Operation durch einen Unfall ausgelöst wurde.
Die Mediziner um Natasha van Zyl verknüpfen bei dem neuen Operationsverfahren, bei Patienten deren vier Gliedmaßen gelähmt waren (Tetraplegie), funktionierende Nervenbahnen mit den deaktivierten Muskeln im Arm und der Hand. Genutzt wurden dafür Nerven oberhalb der Halswirbelverletzung, die noch mit dem Gehirn verbunden sind. Die Chirurgen haben diese funktionierenden Nervenbahnen von ihrem eigentlich Zielmuskel abgetrennt und mit dem Muskel, der angesteuert werden soll, operativ neu verbunden.
Nach der Operation wuchs der gesunde Nerv pro Tag etwa einen Millimeter entlang der nicht mehr funktionierenden Nervenbahn, bis er den Zielmuskel erreichen konnte. Die Wachstumsphase dauert je nach Muskel und Nerv zwischen drei und neun Monaten. Sobald der Nerv den Zielmuskel erreicht hatte, gelang es den Patienten wieder selbstständig Bewegungen auszuführen.
Wie Zyl erklärt, gibt die Operationsmethode „den Querschnittsgelähmten eine größere Unabhängigkeit und die Möglichkeit, einfacher am Familien- und Arbeitsleben teilzunehmen.“ Die Patienten können zum Beispiel nach der abgeschlossenen Behandlung wieder allein Essen, Computer verwenden oder Make-up benutzten. Da auch die Ellenbogen durch den Nerventransfer wieder genutzt werden können, ist auch die selbstständige Fortbewegung per Rollstuhl wieder möglich.
Bisher haben Chirurgen bei Querschnittsgelähmten häufig Sehnen noch aktiver Muskeln genutzt und diese mit gelähmten Muskeln verbunden. Die Ergebnisse der beiden Methoden sind zwar ähnlich, die neue Operation ist für die Patienten aber deutlich schonender, da anstatt dem sechs bis zwölf wöchigen Tragen einer Orthese nur für zehn Tage eine Schlinge genutzt werden muss. Außerdem kann mithilfe des Nerventransfer die Funktion von mehreren Muskeln wiederhergestellt werden, was bei der mechanischen Verbindung per Sehnenumlenkung nicht möglich ist.
Um die beiden Behandlungsmethoden vergleichen zu können, haben die Wissenschaftler im Zuge der Fallstudie bei den Patienten beide Möglichkeiten genutzt. An einem Arm wurde also der Nerventransfer und an einem Arm die Sehnenumlenkung eingesetzt. Dabei zeigte sich, dass durch die transplantierte Sehne ein stärkerer Griff möglich wurde, während der Nerventransfer eine feinere Motorik der Hand erlaubte. Die Wahl der richtigen Behandlungsmethode hängt also vor allem davon ab, welche Hauptaufgaben die Patienten anschließend mit ihrer Hand verrichten wollen.
Bei drei der 16 Patienten konnte durch der Nerventransfer leider nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Die Wissenschaftler haben deshalb bereits angekündigt, in weiteren Studien untersuchen zu wollen, für welche Personen sich die Behandlungsmethode am eignet. Außerdem erklärten sie, dass der Nerventransfer nur dann sinnvoll sei, wenn die Operation spätestens ein Jahr nach dem Umfall, der die Lähmung ausgelöst hat, erfolgt.
The Lancet, doi: 10.1016/S0140-6736(19)31143-2