Robert Klatt
Ein neues Antibiotikum wirkt auch gegen gramnegativen Krankheitserreger, die selbst gegen das Reserve-Antibiotikum Colistin immun sind. Dies erfolgt über einen neuen Wirkmechanismus, der die schützende Außenhülle der Bakterien zerstört.
Zürich (Schweiz). Der übermäßige Einsatz von Antibiotika hat dazu geführt, dass viele bakterielle Krankheitserreger eine Immunität gegen die Medikamente entwickelt haben. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind besonders gegen Carbapenem- und Cephalosporin-Antibiotika immune Bakterien eine Bedrohung für die Gesundheit der Weltbevölkerung, weil sie eine Reihe von Krankheiten wie Hirnhaut- und Lungenentzündungen, Wundinfekte und Blutvergiftungen auslösen, die schnell zum Tod führen können. Außerdem sind diese gramnegativen Erreger auch gegen das Reserve-Antibiotikum Colistin immun, mit dem sich viele multiresistente Keime noch abtöten lassen.
In der Forschung wird aus diesem Grund seit längerem an neuen Antibiotika-Klassen gearbeitet. Laut einer im Fachmagazin Nature publizierten Studie haben Wissenschaftler der Universität Zürich und des Pharmaunternehmens Polyphor AG nun neue synthetische Antibiotika entwickelt, die auch gegen gramnegative Bakterien wirken.
Laut John Robinson, Co-Autor der Studie „interagieren die Antibiotika mit Proteinen der Außenmembran von gramnegativen Bakterien. Nach unseren Ergebnissen binden sie einerseits an fettähnliche Membrankomponenten, den sogenannten Lipopolysacchariden, und andererseits an das Membranprotein BamA.“ Der besonders Wirkmechanismus des neuen Medikaments sorgt so dafür, dass die Zellen der Bakterien platzen.
Dies erfolgt dadurch, dass sich das Antibiotikum an das BamA-Protein der Bakterienhülle bindet und dadurch die Synthese des Außenmembran unterbricht. Anschließend führt dies dazu, dass die Hülle, die die Bakterien vor Umweltgiften aber auch Antibiotika schützt, zerstört wird. Außerdem wird auch der Aufnahme und die Abgabe von Signalmolekülen und Nährstoffen durch die Zerstörung der Außenmembran unterbrochen. Wie Robinson erklärt „zielen trotz ihrer Bedeutung keine der bisher klinisch eingesetzten Antibiotika auf Schlüsselproteine, die für die Biogenese der Außenmembran erforderlich sind ab.“
Experimente mit Zellkulturen und Mäusen, die mit Bakterien infiziert wurden, konnten bereits belegen, dass das Platzen der Außenmembran dazu führt, dass Infektionen gehemmt werden können. Auch die als Krankenhauskeime bekannten Erreger, die wie kürzlich eine Untersuchung zeigte unter anderem über Restwasser in Waschmaschinen verbreitet werden, können mit dem neuen Antibiotikum behandelt werden.
Aufgrund des großen Potenzials sollen bald klinische Studien mit Menschen folgen. Daniel Obrecht, Co-Autor der Studie erklärt, dass „sich POL7306, ein erstes Leitmolekül der neuartigen Antibiotika-Klasse, derzeit in der präklinischen Entwicklung befindet.“ Sollte die Entwicklung des Medikaments erfolgreich verlaufen, wäre dies der erste Wirkstoff gegen gramnegativen Bakterien seit den 1960er Jahren. Die Forscher konstatieren, dass „dies das Potenzial hätte, effektiv gegen lebensgefährliche Infektionen vorgehen zu können und damit ein dringendes medizinische Bedürfnis zu erfüllen.“
Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1665-6