Robert Klatt
Im Gehirn des Menschen wurde zufällig eine neue anatomische Struktur entdeckt, die zentral für den Flüssigkeitshaushalt des Organs und den Immunschutz sein könnte. Die vierte Hirnhautschicht verhindert, dass größere Moleküle in das Innere des Gehirns gelangen und enthält Immunzellen.
New York (U.S.A.). In den letzten Jahren hat die Wissenschaft mit neuen Analysemethoden mehrere zuvor unbekannte Strukturen im Körper des Menschen entdeckt, darunter etwa ein Muskel am Kiefer sowie die Tubarius-Drüsen, ein Organ am Eingang der Eustachischen Röhre. Forscher des University of Rochester Medical Center und der Universität Kopenhagen haben nun zufällig eine weitere anatomische Struktur im menschlichen Gehirn entdeckt.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science wollten die Wissenschaftler eigentlich untersuchen, wie die Hirnflüssigkeit sich durch die Hirnhäute bewegt. In ihrem Experiment mischten sie dazu einen Fluoreszenzmarker in die Hirnflüssigkeit von Mäusen, um deren Bewegung durch das Gehirn mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie beobachten zu können.
Im Raum zwischen der innersten Hirnhaut und der mittleren Hirnhaut (Subarachnoidalraum) entdeckten sie dabei eine vierte, sehr dünne, aber kontinuierliche Hirnhaut, die zuvor unbekannt war.
„Diese Schicht teilt den Subarachnoidalraum in ein äußeres, oberflächliches Kompartiment und einen inneren, tieferen Bereich, der das Gehirn umgibt.“
Die sogenannte Subarachnoidal Lymphatic-like Membrane (SLYM) existiert auch bei Menschen. Die Hirnhautschicht ist nur wenige Zelllagen dick und ähnelt dem Mesothel, einer Membran, die die inneren Organe des Menschen umgibt.
Obwohl die kürzlich entdeckte Hirnhautschicht sehr dünn ist, erfüllt sie eine essenzielle Barrierefunktion, weil die meisten Moleküle sie laut Tests mit farbmarkierten Partikeln nicht passieren können.
„SLYM hemmt demnach den Austausch der meisten Peptide und Proteine – darunter auch Beta-Amyloid- und Tau-Proteine – zwischen dem äußeren und inneren Teil des Subarachnoidalraums.“
Laut den Forschern um Kjeld Møllgård ist es denkbar, dass die neuentdeckte Hirnhautschicht saubere, frische Hirnflüssigkeit von alter Hirnflüssigkeit trennt. Wie Maiken Nedergaard erklärt, belegt der Fund die wichtige Rolle der Flüssigkeit für das Denkorgan.
„Die Entdeckung einer neuen anatomischen Struktur, die den Fluss der cerebrospinalen Flüssigkeit im und um das Gehirn kontrolliert und partitioniert, unterstreicht die wichtige Rolle der Hirnflüssigkeit.“
Außerdem enthält die SLYM-Hülle größere Mengen an Abwehrzellen des Immunsystems, darunter etwa dendritische Zellen für die Feinderkennung und Makrophagen.
„Das deutet darauf hin, dass die SLYM auch als Nische für die immunologische Überwachung dient.“
Die SLYM-Membran könnte überdies als Gleitschicht dienen, indem sie die Reibung zwischen dem Schädelknochen und dem Gehirn bei starken Kopfbewegungen reduziert.
Wird die schützende SLYM-Membran des Gehirns beschädigt, könnte dies das Abwassersystem und die Immunabwehr des Gehirns beinträchtigen. Potenziell schädliche Verunreinigungen, die in der alten Hirnflüssigkeit vorkommen, könnten dann in den inneren Subarachnoidalraum und sogar bis in das Gehirn gelangen. Ein Riss in der Schutzschicht würde zudem wichtige Strömungskanäle unterbrechen.
„Das könnte die gestörten Strömungsmuster des glymphatischen Systems nach einer traumatischen Hirnverletzung erklären.“
Die Forscher halten es zudem für möglich, dass das erhöhte Risiko für Alzheimer oder neuroentzündliche Komplikationen nach einer schweren Gehirnerschütterung mit einem Riss in der SLYM-Membran verbunden sind. In Tierversuchen konnten sie belegen, dass Schäden an der Schutzschicht zu Entzündungen führten und eine lokale Ansammlung von Abwehrzellen auslösen.
Science, doi: 10.1126/science.adc8810