Robert Klatt
Das biologische Alter des Gehirns kann mit Bluttests nicht ermittelt werden. Eine neue Künstliche Intelligenz (KI) kann nun erstmals non-invasiv, nur anhand von MRT-Bildern, die Geschwindigkeit des Gehirnalterungsprozesses präzise ermitteln. In Zukunft könnte dies die Behandlung von Alzheimer und ähnlichen Krankheiten verbessern.
Los Angeles (U.S.A.). Das biologische Alter und das kalendarische Alter eines Menschen können sich deutlich voneinander unterscheiden, abhängig davon, wie gut ihr Körper funktioniert. In der Medizin wird das biologische Alter meistens mit Blutproben ermittelt, die die DNA-Methylierung und das epigenetische Alter zeigen. Es handelt sich dabei um Prozesse, die die Genaktivität innerhalb einer Zelle beeinflussen.
Diese Methode funktioniert beim Gehirn aber nicht, weil Blutbestandteile aufgrund der Blut-Hirn-Schranke keine Informationen über Prozesse innerhalb des Organs erlauben. Das biologische Alter des Gehirns kann also nicht mit Blutproben, sondern nur mit direkten Gewebeentnahmen ermittelt werden.
Forscher der University of Southern California (USC) haben bereits 2023 eine Methode entwickelt, die stattdessen das biologische Alter des Gehirns mit MRT-Bildern bestimmt. Sie haben dazu eine Künstliche Intelligenz (KI) erstellt, die die Hirnanatomien analysiert und mit einer großen Datenbank aus MRT-Bildern von Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen und mit unterschiedlichen Gesundheitszuständen vergleicht.
Die KI konnte aber nur ein einzelnes MRT-Bild analysieren und anhand dessen ermitteln, ob das biologische Alter dem kalendarischen Alter entspricht. Ob und wann der Alterungsprozess des Gehirns jedoch begann und ob dieser schneller oder langsamer als üblich abläuft, konnte das Modell nicht feststellen.
Die Wissenschaftler der University of Southern California (USC) haben deshalb ein sogenanntes Convolutional Neural Network (3D-CNN) entwickelt, das deutlich präzisere Ergebnisse liefert. Die neue KI basiert auf über 3.000 MRT-Bildern von kognitiv gesunden Erwachsenen. Sie betrachtet jedoch nicht nur eine Momentaufnahme des Gehirns, sondern analysiert mehrere MRT-Aufnahmen derselben Person von unterschiedlichen Zeitpunkten.
Es ist somit erstmals möglich, Veränderungen im Gehirn nicht-invasiv und präzise nur anhand von MRT-Bildern zu beobachten und die Geschwindigkeit des Gehirnalterungsprozesses genau zu ermitteln. Dadurch können Veränderungen im Gehirn erkannt werden, die eine beschleunigte oder verlangsamte Alterung auslösen.
„Ein schnelleres Altern des Gehirns steht in enger Verbindung mit einem höheren Risiko für kognitive Beeinträchtigungen. Diese neuartige Messmethode könnte unsere Herangehensweise an die Überwachung der Gehirngesundheit sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis grundlegend verändern. Zu wissen, wie schnell das eigene Gehirn altert, kann sehr aufschlussreich sein.“
Laut der Publikation im Fachmagazin PNAS haben die Forscher ihre KI mit 104 gesunden Erwachsenen und 140 Alzheimerpatienten erprobt. Dabei haben sie eine enge Korrelation zwischen der gemessenen Geschwindigkeit der Gehirnalterung und den Ergebnissen in standardisierten kognitiven Tests festgestellt.
„Die Übereinstimmung mit den kognitiven Ergebnissen deutet darauf hin, dass dieses Verfahren als früher Biomarker für neurokognitive Verschlechterung dienen könnte. Zudem lässt sich das Modell sowohl bei gesunden Personen als auch bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen anwenden.“
Die Forscher erklären, dass die KI dabei helfen kann, Krankheitsverläufe besser zu klassifizieren. Ärzte könnten diese Informationen nutzen, um bessere, personalisierte Behandlungen zu entwickeln.
„Die Geschwindigkeit des Gehirnalterns steht in signifikanter Verbindung zu Veränderungen der kognitiven Leistung. Wer ein schneller alterndes Gehirn hat, zeigt mit höherer Wahrscheinlichkeit auch eine raschere Verschlechterung von Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und exekutiven Funktionen. Es handelt sich nicht nur um anatomische Veränderungen – diese gehen mit messbaren kognitiven Einbußen einher.“
Die neue KI kann nicht nur das biologische Alter und die Geschwindigkeit des Alterungsprozesses für das gesamte Gehirn, sondern auch für einzelne Hirnregionen erkennen. Dies kann der Wissenschaft dabei helfen, zu untersuchen, wie genetische, umweltbedingte und lebensstilbezogene Faktoren unterschiedliche kognitive Krankheiten beeinflussen. Zudem kann das Modell Menschen identifizieren, deren Gehirne schneller altern, bevor bei ihnen erste Symptome auftreten.
„Es gibt zwar neue Medikamente gegen Alzheimer, doch ihre Wirkung bleibt hinter den Erwartungen zurück. Das liegt womöglich daran, dass viele Patient:innen erst dann behandelt werden, wenn die Krankheit im Gehirn bereits weit fortgeschritten ist. Ein Ziel unserer Forschung ist es, das Alzheimer-Risiko frühzeitig zu quantifizieren. Es wäre großartig, wenn wir eines Tages sagen könnten: ‚Diese Person hat aktuell ein 30-prozentiges Risiko für Alzheimer.‘ Wir sind noch nicht so weit, aber wir arbeiten daran. Ich bin überzeugt, dass solche Messwerte entscheidend sein werden, um prognostische Variablen zu schaffen, die uns helfen, Risiken besser vorherzusagen – besonders im Hinblick auf neue präventive Medikamente.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2413442122