Robert Klatt
Laut dem Energiebilanzmodell entsteht Übergewicht durch eine Dysbalance zwischen der Energieaufnahme und dem Energieverbrauch. Eine neue These stellt dieses Modell infrage und nennt einen anderen Grund für die Gewichtszunahme.
Boston (U.S.A.). Laut Daten des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) leiden in den U.S.A. bereits mehr als 40 Prozent der Erwachsenen unter Fettleibigkeit. Auch in Europa haben Übergewicht und Fettleibigkeit laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) epidemische Ausmaße erreicht. Die Ernährungsrichtlinien des Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten (USDA) empfehlen den betroffenen Menschen ihre Kalorienaufnahme zu reduzieren und ihre körperliche Aktivität zu erhöhen, um das Übergewicht abzubauen.
Diese Empfehlung basiert auf dem Energiebilanzmodell, das in der Medizin seit über hundert Jahre etabliert ist. Laut diesem Modell kommt es zur Gewichtszunahme, wenn die Energieaufnahme höher als der Energieverbrauch ist. In Anbetracht der stetigen Verfügbarkeit von hoch verarbeiten Lebensmitteln, die laut einer Studie des National Institutes of Health (NIH) Übergewicht fördern, ist es leicht, zu viele Kalorien zu konsumieren. Diese Dysbalance wird durch die geringe körperliche Aktivität zusätzlich verstärkt.
Forscher der Harvard Medical School (HMS) um David Ludwig haben nun im American Journal of Clinical Nutrition einen Artikel publiziert, der grundlegende Mängel im Energiebilanzmodell sieht. Laut den Autoren erklärt das alternative Kohlenhydrat-Insulin-Modell deutlich besser die Entstehung von Übergewicht.
„Während eines Wachstumsschubs können Jugendliche ihre Nahrungsaufnahme zum Beispiel um 1.000 Kalorien pro Tag erhöhen. Aber verursacht ihr Überessen den Wachstumsschub oder verursacht der Wachstumsschub, dass der Jugendliche hungrig wird und übermäßig isst.“
Laut dem Kohlenhydrat-Insulin-Modell sind nicht die übermäßige Kalorienaufnahme, sondern die modernen Lebensmittel mit hoher glykämischer Last die Hauptursache der stetig zunehmenden Anzahl fettleibiger Menschen. Diese Lebensmittel lösen hormonelle Reaktionen aus, die unsere Stoffwechselfunktionen grundlegend verändern und zur Fetteinlagerung und Gewichtszunahme führen.
Lebensmittel mit hoch verarbeiteten Kohlenhydrates verursachen im Körper des Menschen eine starke Insulinausschüttung und unterdrücken die Glukagonausschüttung. Das führt dazu, dass Fettzellen mehr Kalorien speichern, was wiederum weniger Kalorien für die Muskeln und andere stoffwechselaktive Gewebe lässt. In der Folge verspüren wir Hunger, während unser Körper weiterhin Fett anlagert. Laut dem Kohlenhydrat-Insulin-Modell sollten Menschen deshalb nicht dazu motiviert werden, weniger Nahrung zu konsumieren, sondern eher darauf, die richtigen Lebensmittel zu essen.
„Wenn wir den Verzehr von schnell verdaulichen Kohlenhydraten reduzieren, die während der Ära der fettarmen Diät in die Nahrungskette eingeschwemmt wurden, verringert sich der zugrundeliegende Antrieb zur Fetteinlagerung. Als Ergebnis können Menschen mit weniger Hunger und Anstrengung abnehmen.“
American Journal of Clinical Nutrition, doi: 10.1093/ajcn/nqab270