Robert Klatt
Eine neue Datenbank hilft dabei, das Übertragungsrisiko zoonotischer Krankheitserreger wie SARS-CoV-2 schneller zu erkennen. Dies soll in Zukunft Pandemien verhindern.
David (U.S.A.). HIV, Ebola und SARS sowie viele andere gefährliche Krankheitserreger haben ihren Ursprung in tierischen Organismen. Bekannt sind bisher mehr als 250 zoonotische Krankheitserreger, Schätzungen gehen jedoch von hunderttausenden Tierviren aus, die potenziell auf den Menschen überspringen könnten. In der Medizin wird dies als „Spillover“ bezeichnet.
Auch der neue Coronavirus SARS-CoV-2 ist laut einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich“ in einer Fledermaus entstanden und dann über ein weiteres Tier auf den Menschen übergesprungen. Angesichts der daraus entstandenen Pandemie, die das Risiko zoonotischer Krankheitserreger verdeutlicht, haben Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in Davis nun eine frei zugängliche Datenbank entwickelt, die dabei helfen soll, das Risiko von Übertragungen besser einschätzen zu können.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin PNAS basiert die Abschätzung des Spillover-Risikos auf einer Reihe von Faktoren, die die Wissenschaftler auf Grundlage von Expertenbefragungen und bisherigen Studien ermittelt haben. Diese beinhalten unter anderem, wie viele und wie oft ein Erreger Tiere befällt, wie stark ein Erreger auf der Erde verbreitet ist und wie eng der Kontakt der infizierten Tiere mit Menschen ist. Weitere Faktoren des Spillover-Risikos sind die Übertragungswege sowie die genetische Struktur der Erreger.
Bisher enthält die Datenbank Krankheitserreger von 887 Wildtieren, die anhand von 31 Risikofaktoren bewertet wurden. Die ersten zwölf Plätze des Gefahrenrankings belegen Krankheitserreger, die bereits von Tieren auf den Menschen übergesprungen sind.
Auf dem ersten Platz des Gefahrenrankings liegt das Lassa-Virus, das seit den 1960er-Jahren bekannt ist. Der zoonotische Krankheitserreger infizierte ursprünglich eine Mausart, löst nun aber auch beim Menschen das meist mild verlaufende Lassa-Fieber aus. Danach folgen SARS-CoV-2, Ebola sowie das Seoul- und Nipah-Virus. Der Ursprung des hauptsächlich in Asien vorkommenden Seoul-Virus, das oft schwere Krankheitsverläufe auslöst, sind Wanderratten. Das Nipah-Virus löst oft tödlich verlaufende Gehirnentzündung aus und wurde von Flughunden auf den Menschen übertragen.
Dass SARS-CoV-2 in dem Ranking nur auf dem zweiten Platz liegt, erklären die Forscher damit, dass die Datenbank das zukünftige Spillover-Risiko bewertet. Die Untersuchung der WHO konnte bisher aber noch keine Beweise, sondern nur Indizien dafür erbringen, dass das Virus tatsächlich von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist. Eine genaue Risikoabschätzung von SARS-CoV-2, die das Virus in der Datenbank womöglich auf den ersten Platz bringen würde, benötigt noch weitere Informationen, zum Beispiel über welchen Zwischenwirt der Erreger von Fledermäusen auf den Menschen gelangt ist.
Grundsätzlich bewerten die Wissenschaftler das Spillover-Risiko verschiedener Coronaviren aber als sehr hoch. In den Top 20 der Datenbank sind deshalb fünf Coronaviren enthalten, die bisher noch nicht auf den Menschen übergegangen sind. Unter den Top 50 der Viren mit dem höchsten Übertragungsrisiko sind ein Drittel Coronaviren.
„SARS-CoV-2 ist nur ein Beispiel für viele Tausend Viren, die das Potenzial haben, von Tieren auf den Menschen überzuspringen. Wir müssen virale Bedrohungen mit dem größten Spillover-Risiko nicht nur identifizieren, sondern auch priorisieren, bevor es zu einer weiteren verheerenden Pandemie kommt“, erklärt Zoë Grange.
In Zukunft wird die Datenbank des Projekts ständig aktualisiert. Neben Wissenschaftler der Universität von Kalifornien können auch andere Experten neue Daten zu Viren hinzufügen. „Die Datenbank soll eine globale Diskussion in Gang setzen. Außerdem erhoffen wir uns eine wissenschaftliche Zusammenarbeit in Echtzeit, um neue Bedrohungen frühzeitig zu erkennen“, erklärt Jonna Mazet.
„SpillOver kann dazu beitragen, unser Verständnis durch virale Bedrohungen zu verbessern. Es versetzt uns hoffentlich in die Lage, zu handeln, um das Risiko einer Übertagung auf den Menschen zu reduzieren, bevor eine Pandemie ausbricht“, konstatiert Mazet.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2002324118