Robert Klatt
Der neuentdeckte G4-Virus stammt vom H1N1-Virus ab, der im Jahr 2009 mindestens 150.000 Todesfälle verursacht hat. Infektionen von Mensch zu Mensch sind bei einer Anpassung des Virus möglich und könnten eine Pandemie auslösen.
Peking (China). Der H1N1-Virus hat im Jahr 2019 eine Pandemie ausgelöst, die zwischen 150.000 und 600.000 Todesfälle bei Menschen verursacht hat. Nun haben chinesische Wissenschaftler laut einer Publikation im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences eine neue Form der Schweinegrippe gefunden, die vom H1N1-Virus abstammt und das Potenzial zum Auslösen einer weiteren Pandemie besitzt. Bezeichnet wird der neue Virus als Influenza-A-Virus Genotyp G4 reassortant Eurasian avian-like (EA) H1N1, kurz auch G4-Virus.
Entdeckt wurde der Krankheitserreger durch Wissenschaftler um Honglei Sun, die im Zeitraum von 2011 bis 2018 etwa 30.000 Nasenabstriche von Schweinen aus zehn chinesischen Provinzen analysierten. Dies geschah im Rahmen der ständigen Überwachungen der Hausschweine, die in China erfolgt, weil diese auch Menschen mit Krankheiten infizieren können. Insgesamt entdeckten die Wissenschaftler dabei 179 zuvor unbekannte Schweinegrippeviren, von denen die meisten zu einer neuen Art gehörten, die seit 2016 verstärkt bei Schweinen beobachtet wurde.
Um das Schädigungspotenzial der unterschiedlichen Viren zu analysieren, führten die Wissenschaftler Grippestudien mit Frettchen durch. Diese zeigen ähnliche Krankheitssymptome wie Menschen. Dabei konnten sie belegen, dass das G4-Virus hochinfektiös ist und schlimmere Symptome auslöst als die anderen neuentdeckten Typen von Schweinegrippeviren. Die Studie zeigt überdies, dass das G4-Virus sich in menschlichen Zellen schnell vermehrt.
Um zu untersuchen, ob das Virus bereits Menschen infiziert hat, testeten die Wissenschaftler nach dessen Entdeckung 338 Arbeiter aus Schlachtbetrieben. 35 (10,4 Prozent) der Arbeiter wurden positiv auf G4 EA H1N1 getestet, bei jungen Arbeitern bis zu einem Alter von 35 Jahren waren es sogar mehr als 20 Prozent. Laut dem Bericht „ist diese erhöhte G4-Seroprävalenz unter den Schweinefabrik-Arbeiter bedenklich.“ Sie ist außerdem ein Indiz dafür, dass das Virus sich weiter an den Menschen anpassen könnte und dann theoretisch auch von Mensch zu Mensch Infektionen möglichen wären.
Professor Robert Webster, Virologe und Influenza-Forscher schreibt dazu in einem im Magazin Science publizierten Kommentar, dass „wir nicht wissen können, ob eine Pandemie daraus entstehen kann, bis sie da ist.“ Laut einem Kommentar von Professor Edward C. Holmes, Biologe von University of Sydney „muss diese Situation auf jeden Fall genau überwacht werden.“
Auch James Wood, Leiter der Abteilung für Veterinärmedizin an der Universität Cambridge erklärt, dass die Studie „eine Erinnerung daran ist, dass wir ständig dem Risiko des erneuten Auftretens zoonotischer Krankheitserreger ausgesetzt sind und dass Nutztiere, mit denen der Mensch mehr Kontakt hat als mit Wildtieren, als Quelle für wichtige Pandemieviren dienen können.“
Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.1921186117