Robert Klatt
Das Gehirn des Menschen besitzt überraschend wenige Ionenkanäle. Wahrscheinlich soll dies Energie sparen, die dann für andere neuronale Prozesse verwendet werden kann.
Cambridge (U.S.A.). Die Neuronen des Gehirns benötigen sogenannte Ionenkanäle, um die eintreffenden chemischen Signale in elektrische Impulse umzuwandeln. Dazu lassen Poren in der Membran geladene Teilchen wie Natrium- oder Kaliumionen in die Nervenzellen hinein- und hinausfließen. Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben jedoch kürzlich überraschend festgestellt, dass die Neuronen des menschlichen Gehirns über deutlich weniger dieser kleinen Kanäle verfügen als die Gehirne anderer Säugetiere. Laut den Wissenschaftlern um Mark Harnett könnte dies der Grund sein, wieso die Denkleistung des menschlichen Gehirns so hoch ist.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature untersuchten die Forscher die Nervenzellen in Hirnschnitten von zehn verschiedenen Säugetieren, darunter die Etruskerspitzmaus, das kleinste Säugetiere der Welt, sowie Ratten, Kaninchen, Affen bis zum Menschen. Bei den menschlichen Proben handelte es sich um Gewebe, das Menschen mit Epilepsie bei einer Operation entfernt wurde.
Mithilfe von hauchdünnen Pipetten konnten die Forscher die elektrischen Eigenschaften der Pyramidenzellen der Hirnrinde messen. Diese Messung ermöglicht einen Rückschluss auf die Anzahl der Ionenkanäle der Nervenzellen.
Dabei stellten sie bei allen Tierarten fest, dass mit zunehmender Größe der Nervenzellen die Dichte an Ionenkanälen ebenfalls zunimmt. Im winzigen Gehirn der Etruskerspitzmaus finden in einem bestimmten Hirnvolumen also deutlich mehr Neuronen als etwa beim Kaninchen, das deutlich größere Neuronen besitzt. Weil die Neuronen des Kaninchens dafür aber deutlich mehr Ionenkanäle besitzen, ist die Dichte der Kanäle pro Gewebevolumen bei beiden Säugetieren nahezu identisch.
„Es scheint, als würde der Kortex versuchen, die Anzahl an Ionenkanälen pro Hirnvolumen und somit die Energiekosten über alle Arten konstant zu halten“, erklärt Harnett.
Lediglich das Gehirn des Menschen fällt aus der Reihe, weil es deutlich weniger Ionenkanäle besitzt, als die Wissenschaftler auf Basis ihrer Beobachtungen vermutet hatten. Dies liegt laut den Autoren sehr wahrscheinlich daran, dass das menschliche Gehirn so mehr Energie in komplexe Verbindungen stecken kann. „Wenn das Gehirn Energie spart, indem es die Dichte an Ionenkanälen reduziert, kann es mehr Energie für andere neuronale Prozesse aufbringen“, konstatieren die Wissenschaftler.
Nature, doi: 10.1038/s41586-021-04072-3