Robert Klatt
MCH-Zellen löschen während der Tiefschlafphasen unwichtige Informationen aus dem Gedächtnis. Die Neuronengruppe verhindert so, dass Träume im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können.
Bethesda (U.S.A.). Guter Schlaf ist für den Menschen nicht nur wichtig, um das Immunsystem zu stärken, sondern auch um dem Gehirn Pausen zur Regeneration zu geben. Wissenschaftler haben bereits 2015 belegt, dass das Gehirn im Schlaf Abfallstoffe ausschwemmt und die Informationen des Tages nochmals verarbeitet, bevor Wichtiges im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. Nun haben Forscher der Nagoya Universität und des National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) herausgefunden, dass das nächtliche Vergessen ein aktiver Prozess ist, den eine Neuronengruppe während des Schlafs steuert.
Laut der im Fachmagazin Science publizierten Studie haben die Wissenschaftler um Shuntaro Izawa mithilfe von Mäusen untersucht welche Region des Gehirns das aktive Vergessen kontrolliert. Dabei fiel vor allem eine Zellgruppe des Hypothalamus auf, die auch eine Reihe von vegetativen Funktionen steuert. Außerdem produziert die Gehirnregion das melaninkonzentrierende Hormon (MCH), das neben dem Hungergefühl auch die Länge der REM-Schlafphasen, in denen Träume auftreten, beeinflusst.
Um zu überprüfen ob die auffällige Gehirnregion wirklich für die nächtliche Löschung der Gedächtnisinhalte verantwortlich ist, haben die Wissenschaftler Lernversuche mit Mäusen durchgeführt. Anschließend aktivierten sie die MCH-Zellgruppe im Gehirn der Tiere, was dazu führte, dass die Mäuse sich nicht mehr an die zuvor gelernten Inhalte erinnern konnten. Die Kontrollgruppe, bei denen die MCH-Zellgruppe nicht durch eine Injektion aktiviert wurde, erinnerten sich hingegen deutlich länger an das Gelernte.
Laut Thomas Kilduff, Co-Autor der Studie sprechen „die Ergebnisse dafür, dass die MCH-Neuronen dem Gehirn aktiv dabei helfen, neue, unwichtige Informationen zu vergessen.“ Dies geschieht über eine direkte Nervenverbindung zwischen den verantwortlichen Neuronengruppe und dem Hippocampus, in dem Neurotransmitter freigesetzt werden, die verhindern, dass unwichtige Informationen in das Gedächtnis gelangen. Welcher Botenstoff die Löschung auslöst, konnten die Forscher im Zuge der aktuellen Studie jedoch noch nicht herausfinden.
Außerdem haben die Wissenschaftler um Izawa belegt, dass die Löschung von unwichtigen Gedächtnisinhalte während des REM-Schlafs erfolgt. Janet He von den US National Institutes of Health schreibt in einem Begleitkommentar, dass „diese Studie damit den bisher direktesten Beleg dafür liefert, dass unser Gehirn im REM-Schlaf entscheidet, welche Informationen es speichert und welche nicht.“
Die Ergebnissen der Studie erklären damit auch, wieso Träume fast immer sofort aus dem Gedächtnis verschwinden. Wie Kilduff erklärt liegt dies daran, dass „Träume primär im REM-Schlaf auftreten und damit ausgerechnet in der Zeit, in der die MCH-Zellen sehr aktiv sind.“ Die Aktivität der MCH-Zellen verhindert somit, dass Trauminhalte langfristig im Hippocampus vorgehalten werden und sorgt so für das schnelle Vergessen.
Auch wenn die neuen Erkenntnisse bisher an Mäusen untersucht wurden, gehen die Studienautoren davon aus, dass der Löschmechanismus auch bei Menschen auftritt. Weitere Studien sollen nun belegen wie das Gehirn wichtige und unwichtige Informationen voneinander unterscheidet und welcher Botenstoff der MCH-Zellen verhindert, dass das Gedächtniszentrum Informationen speichert.
Science, doi: 10.1126/science.aax9238