Robert Klatt
Menschen mit einer chronischen Zahnfleischentzündung müssen bei Covid-19 3,5-mal häufiger auf der Intensivstation behandelt und 4,5-mal häufiger beamtet werden. Die Mortalitätsrate ist 9-mal höher als bei Personen ohne Parodontitis.
Regensburg (Deutschland). Bei den meisten Menschen sorgt eine SARS-CoV-2-Infektion nur für milde Symptome. Eine Studie kam sogar zu dem Ergebnis, dass bis zu 80 Prozent aller Infektionen asymptomatisch verlaufen. Einen schweren Verlauf erleiden laut den bisherigen Daten der Forschung etwa 20 Prozent der Covid-19-Patienten. Risikofaktoren dafür sind unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht und Fettleibigkeit und Rauchen.
Laut einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie e.V. haben Wissenschaftler der Hamad Medical Corporation nun herausgefunden, dass auch Parodontitis ein Risikofaktor für einen schweren Covid-19-Verlauf ist. Weltweit leidet etwa die Hälfte der Erwachsenen an dieser von Bakterien ausgelösten chronischen Zahnfleischentzündung, die im schlimmsten Fall zum Ausfall aller Zähne führt. Überdies ist bekannt, dass eine Parodontitis durch ihre Botenstoffe weitere Krankheiten, darunter auch Krebs, fördert.
Ausgangspunkt der im Journal of Clinical Periodontology publizierten Studie war die Beobachtung, dass sowohl die Zahnfleischentzündung als auch Covid-19 bei schweren Verläufen identische Botenstoffe freisetzen.
Nadya Marouf: „Die Covid-19-Mortalität wird mit erhöhten Serumwerten von Interleukin-6, dem C-reaktivem Protein, D-Dimer und Ferritin in Verbindung gebracht.“
Zur Untersuchung des Zusammenhangs analysierten die Wissenschaftler die Gesundheitsdaten von 568 Patienten, die zwischen Februar und Juli 2020 in Krankenhäuser in Katar aufgrund von Covid-19 behandelt werden. Sie konnten so nachvollziehen, ob und wie viele der Covid-19-Patienten auch unter Parodontitis litten.
Die Auswertung zeigt, dass 258 der 568 Covid-Patienten auch an Parodontitis erkrankt waren. 33 dieser Patienten entwickelten schwere Covid-19-Komplikationen, die eine intensivmedizinische Behandlung und Beatmung erforderlich machten. Unter den 310 Covid-19-Patienten ohne oder mit einer minimal ausgeprägten Zahnfleischentzündung waren es nur sieben. Diese Korrelation bleibt auch dann bestehen, wenn die Wissenschaftler weitere Risikofaktoren herausrechneten.
Die Gesundheitsdaten zeigen, dass Covid-19-Patienten mit Parodontitis 3,5-mal häufiger intensivmedizinisch behandelt werden müssen, 4,5-mal häufiger beatmet werden müssen und 9-mal häufiger an der Infektion sterben. Überdies waren die mit Entzündungen verbundenen Biomarker bei Menschen mit Covid-19 und Parodontitis deutlich erhöht. Dies spricht laut den Studienautoren dafür, dass die Parodontitis wie andere Erkrankungen auch das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöht.
Welche Prozesse dafür verantwortlich sind, dass die Zahnfleischentzündung den Covid-19-Verlauf beeinflusst, hat die Studie noch nicht untersucht. Als wahrscheinlichste Ursache sehen die Wissenschaftler, dass die von der Zahnfleischentzündung freigesetzten Botenstoffe eine Überreaktion des Immunsystems begünstigen und dadurch den Cytokinsturm auslösen. Möglich wäre es aber auch, dass die Parodontitis-Bakterien die ACE2-Rezeptoren der Zellen, also die Andockstelle von SARS-CoV-2 oder das Virus direkt beeinflussen.
Außerdem halten die Forscher sekundäre Infektion der Lunge, durch Parodontitis-Bakterien, die dort aus dem Mund hingelangt sind, für möglich.
Mariano Sanz von der Complutense-Universität Madrid: „Dies kann zur Verschlechterung von Patienten mit Covid-19 beitragen und das Todesrisiko erhöhen.“
Die Forscher empfehlen deshalb Ärzten vor der Beatmung von Covid-19-Patienten mit Parodontitis deren Mundraum zu desinfizieren.
Bettina Dannewitz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie: „Die Feststellung und Aufrechterhaltung der parodontalen Gesundheit kann ein wichtiger Bestandteil der Versorgung von Covid-19-Patienten werden. Mundpflege sollte Teil der Gesundheitsempfehlungen sein, um das Risiko für schwere Verläufe zu verringern.“
Journal of Clinical Periodontology, doi: 10.1111/jcpe.13435