Robert Klatt
Eine „Pille danach“ reduziert das Risiko für Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Chlamydien nach ungeschütztem Sexualverkehr deutlich. Die Einnahme sollte aber nur Risikogruppen erfolgen, damit die Bakterien keine Resistenz gegen das Antibiotikum entwickeln.
San Francisco (U.S.A.). Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) infizieren sich wieder mehr Menschen mit Geschlechtskrankheiten. Bei den 15- bis 49-Jährigen kommt es jährlich zu etwa 376 Millionen neuen Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten. Global sind Trichomonaden (156 Millionen Infektionen), Chlamydien (127 Millionen), Gonorrhö, umgangssprachlich auch Tripper genannt (87 Millionen) und Syphilis (6,3 Millionen) am stärksten verbreiten.
Ein Großteil der Infektionen mit den vier Krankheiten geht auf ungeschützten Sexualverkehr zurück. In Deutschland treten die Geschlechtskrankheiten vor allem bei homosexuellen Männern auf. Die von Bakterien verursachte Infektionen sind heilbar. Sie müssen aber zeitnah behandelt werden, weil ansonsten chronische Gesundheitsprobleme entstehen können.
Wissenschaftler der University of California, San Francisco (UCSF) um Annie Luetkemeyer haben deshalb untersucht, ob man das Risiko für Geschlechtskrankheiten nach ungeschütztem Sexualverkehr reduzieren kann. Laut ihrer Publikation im New England Journal of Medicine entdeckten sie dabei, dass eine einzige Dosis des Antibiotikums Doxycyclin, die innerhalb von 72 Stunden nach Sex ohne Kondom eingenommen wird, das Risiko für eine von Bakterien verursachte Infektionen wie Syphilis, Chlamydien und Gonorrhoe um zwei Drittel reduziert.
An der Studie nahmen rund 500 Probanden aus Risikogruppen, darunter Frauen, die trans sind und Männer, die Sex mit Männern haben, teil. Im Jahr vor der Studie hatten die Probanden mindestens eine sexuell übertragbare Erkrankung (STI). Zudem waren sie entweder mit HIV infiziert oder nahmen ein präventives Medikament (PrEP) ein, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Wie der Dermatologe Georg Stary von der Med-Uni Wien erklärt, nutzen dieses Prophylaxemittel vor allem Menschen, die oft ungeschützten Geschlechtsverkehr haben. Sie infizieren sich also deutlich öfter mit einer Geschlechtskrankheit als die Allgemeinbevölkerung.
Die Probanden wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugewiesen: Eine Gruppe sollte innerhalb eines Zeitraums von drei Tagen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eine Dosis des Antibiotikums Doxycyclin einnehmen, während die andere Gruppe die Standardbehandlung ohne Doxycyclin erhielt. Im Durchschnitt konsumierten die Probanden die Tablette viermal monatlich. Die Studienergebnisse zeigen, dass in der Doxycyclin-Gruppe im Laufe eines Jahres zwei Drittel der STIs verhindert werden konnten.
Laut Stary zeigt dies, dass eine Behandlung der Risikogruppen einen hohen Vorteil bietet. Infizieren sich diese durch die Prophylaxe weniger oft Syphilis, Chlamydien und Gonorrhoe, sind auch insgesamt weniger Geschlechtskrankheiten im Umlauf.
„Dementsprechend werden unter Umständen auch diejenigen geschützt, die das Medikament nicht prophylaktisch einnehmen.“
Stary und andere Wissenschaftler bewerten die Prophylaxe mit dem Antibiotikums Doxycyclin jedoch als kritisch. Eine Studie der WHO zeigte kürzlich, dass Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien bereits zu den häufigsten Todesursachen gehören. Auch in der Studie kam es vermehrt zu Resistenzen bei Gonokokken, den Bakterien, die Gonorrhoe auslösen. Wie Norbert Brockmeyer von der Ruhr-Universität Bochum, Vorsitzender der Deutschen STD-Gesellschaft, erklärt, ist dies besonders für Europa riskant.
„Bedeutsam ist, dass die Resistenzraten für Gonokokken in den USA bezüglich Doxycyclin mit etwa 25 Prozent deutlich geringer sind als in Europa mit etwa 60 bis 70 Prozent und in Deutschland mit nahezu 80 Prozent.“
Die Anwendung kann laut Stary deshalb „nicht generell empfohlen werden“, sondern sollte nur in besonders gefährdeten Gruppe temporär erfolgen, damit die Resistenzgefahr gering ist. Brockmeyer erklärt zudem, dass das Antibiotikum gesundheitliche Auswirkungen haben kann.
„Man muss davon ausgehen, dass es eine deutliche Veränderung des Mikrobioms geben wird und bei langer Anwendung auch vermehrt Nebenwirkungen auftreten werden.“
New England Journal of Medicine, doi: 10.1056/NEJMoa2211934