Robert Klatt
Patienten mit schwerer Parodontitis müssen derzeit regelmäßig Antibiotika nehmen, die den gesamten Körper belasten. Neue Polymer-Stäbchen ermöglichen eine lokale Behandlung und verringern die Nebenwirkungen.
Halle (Saale) (Deutschland). Die Parodontitis gehört weltweit zu den am weitesten verbreiteten Erkrankungen des Mundraums. Auch in Deutschland entwickeln laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Zahnärztekammern e.V. (BZÄK) etwa 50 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens diese von Bakterien ausgelöste Entzündung, die ohne Behandlung zur Bildung sogenannter Zahnfleischtaschen, dies sind Lücken zwischen den Zähnen und dem zurückgegangenen Zahnfleisch, führt. Schlussendlich sorgt die dauerhafte Entzündung dafür, dass sich auch der Kieferknochen zurückbildet und dass die Zähne ihren Halt verlieren und schließlich ausfallen.
Wie Karsten Mäder von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) erklärt, „ist die Barrierefunktion des Körpers durch die großen Wundflächen stark gestört, sodass vermehrt Stoffe und Bakterien in den Körper gelangen.“ Parodontitis führt deshalb nicht nur zum Zahnverlust, sondern kann in schlimmen Fällen dafür sorgen, dass sich die Entzündung auf den gesamten Körper ausbreitet. Dies begünstigt die Entstehung weiterer Krankheiten wie Lungenentzündungen und kann sogar Herzinfarkte auslösen.
Derzeit können Patienten mit schwerer Parodontitis neben regelmäßigen Zahnreinigungen, die die Bakterienbelastung reduzieren, nur mit Antibiotika behandelt werden. Problematisch dabei ist, dass die Medikamente als Tablette verabreicht werden und so den gesamten Körper belasten sowie weitere Nebenwirkungen auslösen können. Die Wissenschaftler der MLU haben aus diesem Grund eine neue Verabreichungsmethode entwickelt, die im International Journal of Pharmaceutics vorgestellt wurde.
Anstatt das Antibiotikum über Tabletten zu verabreichen, basiert die Methode der Wissenschaftler rund um Martin Kirchberg auf biologisch abbaubaren Polymer-Stäbchen, die in die Zahnfleischtaschen geschoben werden. Dort setzen die Polymer-Stäbchen laut Mäder „den Wirkstoffkomplex langsam und an Ort und Stelle frei.“ Genutzt wird das Breitband-Antibiotikum Minocyclin, das mit Magnesiumstearat zu einem stabileren Komplex kombiniert wird.
Studien zeigten, dass der Wirkstoff von den Polymer-Stäbchen über einen Zeitraum von 42 Tagen in den Zahnfleischtaschen freigesetzt wird. Wie Mäder erklärt, „sind die Stäbchen damit deutlich länger wirksam als bisherige Marktprodukte.“ Ein weiterer positiver Nebeneffekt der lokalen Verabreichung ist die Reduzierung der benötigten Wirkstoffmenge, die das Risiko einer Resistenzbildung durch Bakterien verringert.
Die in zahlreichen Experimenten gefundene optimale Kombination aus Biegsamkeit, Festigkeit und Haltbarkeit der Polymer-Stäbchen haben die Wissenschaftler bereits zum Patent angemeldet. Klinische Studien sollen zeitnah die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode mit menschlichen Probanden bestätigen. Sollte dies erfolgreich verlaufen, könnten die Antibiotika-Stäbchen laut den Entwicklern bereits in wenigen Jahren auf den Markt kommen.
Weil bereits alle Inhaltsstoffe und die Herstellungsmethoden in anderen Medikament Anwendung finden, hoffen die Wissenschaftler auf einen schnellen Abschluss des oft langwierigen Zulassungsverfahrens. Sollten die Polymer-Stäbchen es in die Apotheken und Zahnarztpraxen schaffen, würde dies in Zukunft eine deutliche besser verträgliche Behandlungsmethode für Parodontitis-Patienten bedeuten.
International Journal of Pharmaceutics, doi: 10.1016/j.ijpharm.2019.118794