Robert Klatt
Atropin-Augentropfen verhindern bei Kindern das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit. Zugelassen ist das Medikament für diese Nutzung in Deutschland allerdings noch nicht.
München (Deutschland). In Deutschland entwickeln etwa 15 Prozent aller Kinder bis zum Abschluss der Grundschule eine Kurzsichtigkeit. Bis zum Abschluss des 25 Lebensjahrs leiden sogar 45 Prozent aller Menschen in Deutschland unter Kurzsichtigkeit, die durch eine Brille korrigiert werden muss. Laut einer Studie der Singapore National Eye Centre (SNEC) könnte ein Großteil dieser Einschränkungen durch die präventive Anwendung von Augentropfen mit dem Wirkstoff Atropin verhindert werden.
Auch die Deutsche Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) spricht sich für eine vorsorgliche niedrig dosierte Therapie mit Augentropfen, die 0,01 Prozent Atropin enthalten aus. Laut den Wissenschaftlern „beginnt Kurzsichtigkeit gewöhnlich im Grundschulalter. Da die Fehlsichtigkeit später schwere Erkrankungen der Augen begünstigt, sollte sie früh aufgehalten werden.“
Wie Claus Cursiefen, DOG-Präsident kürzlich während einer Pressekonferenz erklärte „ist Kurzsichtigkeit neben dem Alter der Hauptrisikofaktor für ernste Augenerkrankungen wie Grüner und Grauer Star oder auch Netzhautablösung.“ Es ist daher sinnvoll das das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit bereits bei Kindern während der Entstehung zu verlangsamen. Ebenfalls dafür spricht, dass die Augentropfen laut der Studie des SNEC kaum Nebenwirkungen auslösen und dass eine Kurzsichtigkeit, die bereits im Kindesalter beginnt bei Erwachsenen ein deutlich größeres Ausmaß annimmt.
In der Medizin ist außerdem bekannt, dass neben der präventiven Therapie mit Atropin-Augentropfen ein regelmäßiger Aufenthalt im Freien, der laut einer Studie ebenfalls das Stresslevel reduziert, das Risiko einer Kurzsichtigkeit um 50 Prozent senkt. Außerdem sollte laut Wolf Lagreze, Augenarzt an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg „längeres Lesen in einem Abstand von weniger als 30 Zentimetern vermieden werden.“ Als weitere Präventationsmöglichkeit werden Kontaktlinsen angeboten, die das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit bei 40 Prozent der Nutzer reduzieren können.
Laut den Augenspezialisten ist eine präventive Therapie mit Atropin-Augentropfen jedoch am wirksamsten. Entdeckt wurde der Wirkstoff bereits vor mehr als 100 Jahren. Aufgrund der Nebenwirkungen des aus der Tollkirsche gewonnenen Wirkstoffs, die Blendung und Nahsichtstörung umfassen, wurde er bisher aber kaum genutzt. Da die Wissenschaftler des SNEC eine Konzentration gefunden haben, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um die Hälfte reduziert und dabei nur in wenigen Fällen Nebenwirkungen auslöst, werden Atropin-Augentropfen inzwischen auch in Deutschland eingesetzt. Laut Lagreze „bilden sich leichte Blendungsempfindlichkeit und Nahsichtstörung darüber hinaus bei Absetzen vollständig zurück, so dass kein Schaden entsteht.“
Genutzt werden kann diese Behandlungsmethode bei Kindern zwischen sechs und 14 Jahren, deren Kurzsichtigkeit innerhalb eines Jahres um mehr als ein halbes Dioptrien schlechter wurde. Obwohl auch in Deutschland bereits Leitlinien und Behandlungsempfehlungen für Atropin-Augentropfen ausgearbeitet wurden handelt es sich aktuell noch um einen sogenannten Off-Label-Use, also eine Anwendung des Medikaments obwohl es bei der Kurzsichtigkeit noch keine offizielle Zulassung gibt. Eine derzeit geplante klinische Studie, bei der es sich um die erste Untersuchung außerhalb Asiens handelt, könnte bei erfolgreichem Abschluss die Zulassung von Atropin-Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit erbringen.