Robert Klatt
Störungen in Gehirnregionen, die den Appetit und die Sättigung steuern, zeigen bereits im Vorfeld ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Übergewicht.
Turku (Finnland). In den letzten Jahren haben Wissenschaftler entdeckt, dass die Appetitregulation im Gehirn bei Menschen mit starkem Übergewicht fast immer gestört ist. Bei gesunden Menschen löst Insulin im Gehirn Appetitregulation im Gehirn ein Sättigungsgefühl aus. Diese Funktion ist bei fettleibigen Personen vermindert. Außerdem sind bei Menschen mit starkem Übergewicht Rezeptoren für Belohnungsbotenstoffe wie körpereigene Opioide und Cannabinoide nur in geringer Anzahl vorhanden. Dies sorgt in Kombination für eine übermäßige Kalorienaufnahme.
„Bisher war jedoch unklar, ob diese Veränderungen im Gehirn bereits sichtbar sind, bevor eine Person Fettleibigkeit entwickelt, und ob diese Veränderungen das Risiko für künftige Fettleibigkeit erhöhen“, erklärt Tatu Kantonen von der Universität Turku in Finnland.
Laut ihrer Publikation im International Journal of Obesity untersuchten die Forscher dazu bei 41 Männern zwischen 20 und 35 Jahren die Effekte der körpereigenen Opioide und Cannabinoide und des Insulins im Gehirn. Etwa die Hälfte (22) der Probanden war sportlich und hatte Eltern, die weder unter Typ-2-Diabetes noch Übergewicht litten. Die übrigen Probanden (19) waren bereits leicht übergewichtig, hatten einen Lebensstil ohne viel Bewegung und Eltern, die entweder unter Überwicht oder Typ-2-Diabetes litten.
Zu Beginn der Studie untersuchten die Wissenschaftler mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), wie sich im Gehirn der Probanden Glucose verteilt. Dies ist ein Index für die Insulinaktivität. Überdies ermittelten sie die Anzahl der Rezeptoren für Opioide und Cannabinoide. Dabei fanden sie heraus, dass „junge Männer mit hohem Risiko für künftige Fettleibigkeit eine erhöhte insulinstimulierte Glukoseaufnahme im Gehirn hatten.“ Am deutlichsten war dies in Regionen des Gehirns, die das Hungergefühl kontrollieren.
„Störungen der Insulinwirkung im Gehirn und gestörte Signalübertragung zwischen dem Gehirn und den peripheren Organen können zu einer krankhaften Fehlregulation des Energiehaushalts und zur Gewichtszunahme beitragen“, erklären die Wissenschaftler. Dieser Effekt war bereits bekannt von Personen mit starker Fettleibigkeit. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese pathophysiologischen Prozesse bereits bei nicht adipösen Personen mit Risikofaktoren für Fettleibigkeit aktiv sind“, so die Forscher.
Außerdem zeigt die Studie, dass das Risiko für Fettleibigkeit auch bei einer geringeren Dichte an Rezeptoren für Opioide und Cannabinoide steigt. „Frühere Studien haben ergeben, dass eine Herunterregulierung der Opioidrezeptoren Personen empfindlicher für belohnende Nahrungsmittelreize in der Umwelt macht. Personen mit einer erblichen Veranlagung für herunterregulierte Opioidrezeptoren könnten daher empfindlicher auf Nahrungsmittelreize in der Umwelt reagieren, was zu übermäßiger Nahrungsaufnahme führt“, erklären die Autoren. Alternativ ist es aber auch denkbar, dass Menschen mit weniger Opioidrezeptoren mehr Nahrung konsumieren, um eine Reaktion des Belohnungssystems auszulösen.
„Störungen in den neuronalen Netzwerken, die Sättigung und Appetit kontrollieren, können also bereits beobachtet werden, bevor eine Person Fettleibigkeit entwickelt, und diese Gehirnveränderungen stehen mit familiären Risikofaktoren für Fettleibigkeit in Verbindung“, konstatiert Kantonen. „Die Ergebnisse könnten Auswirkungen auf die Entwicklung von Präventions- und Behandlungsmaßnahmen für Fettleibigkeit haben. Sie zeigen, dass das Gehirn und das zentrale Nervensystem wichtige Ziele bei der Behandlung von Fettleibigkeit sind“, erklärt der Wissenschaftler.
International Journal of Obesity, doi: 10.1038/s41366-021-00996-y