D. Lenz
In Deutschland werden Rückenschmerzen oft falsch behandelt und es werden erheblich mehr Röntgenaufnahmen gemacht als nötig wären. Zu diesem Ergebnis kam die Bertelsmann Stiftung mit Hilfe von anonymisierten, repräsentativen Daten von mehr als sieben Millionen Versicherten aus knapp 70 gesetzlichen Krankenversicherungen.
Gütersloh (Deutschland). Rückenschmerzen sind ein wahres Volksleiden – nicht nur in Deutschland. Global betrachtet verursachen alleine Schmerzen im unteren Bereich des Rückens mehr Einschränkungen als jede andere Krankheit. In Deutschland geht jeder fünfte gesetzlich Versicherte mindestens ein jährlich wegen Rückenschmerzen zu Arzt. Knapp 27 Prozent suchen den Arzt sogar viermal im Jahr oder öfter auf.
Viele dieser rund 38 Millionen Arztbesuche und der rund sechs Millionen Röntgenaufnahmen wären jedoch vermeidbar, so die Bertelsmann Stiftung.
Nach heutigem Wissensstand sind 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen medizinisch unkompliziert und gehen in der Regel von alleine wieder weg. Gibt es keine Hinweise auf ernsthafte Verletzungen, wie beispielsweise gefährliche Komplikationen, Wirbelbrüche oder Entzündungen, so hilft oftmals schon eine gemäßigte Bewegung und Wärme – gegebenenfalls einfache Schmerzmittel und gezielte Krankengymnastik und in fast allen Fällen verschwinden die Schmerzen im Rücken innerhalb weniger Tage wieder.
Jedoch geben sich viele Betroffene mit solchen konservativen Therapien nicht zufrieden. Rund 60 Prozent fordern schnellstens eine bildgebende Untersuchung durch Röntgenbilder, Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) um die Ursache des Schmerzes zu finden.
Diese Untersuchungen wären in vielen Fällen nicht nötig, denn Ärzte finden höchstens bei 15 Prozent spezifische Ursachen für die Rückenschmerzen. Damit verbessern etwa 85 Prozent der gemachten Aufnahmen weder die Diagnose noch die Behandlung und sind einfach unnötig.
Mediziner tragen jedoch zu den Missverständnissen bei, denn sie klären ihre Patienten oftmals nicht über die falsche Erwartungshaltung auf und machen so vorschnelle und überflüssige Bildaufnahmen. Die Bertelsmann Stiftung fand heraus, dass alleine im Jahr 2015 von jedem zweiten Patienten Bildaufnahmen gemacht wurden ohne zuvor einen konservativen Therapieversuch unternommen zu haben. „Ärzte müssen falsche Kenntnisse und Erwartungen von Patienten korrigieren. Nur so werden sie ihrem eigenen Anspruch als vertrauenswürdige Experten gerecht“, betont Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Neben den zahlreichen überflüssigen Aufnahmen geben 43 Prozent aller Ärzte zudem falsche Ratschläge. Viele raten ihren Patienten immer noch Ruhe und Schonung für den Rücken – jedoch ist dies nach heutigen Erkenntnissen genau das Falsche. Dieser Ratschlag verstärkt zudem das Krankheitsgefühl des Patienten, anstatt ihn zu beruhigen. Zudem werden rund 47 Prozent der Betroffenen vermittelt, dass ihr Rücken „kaputt“ oder „verschlissen“ sei.
„Oft werden die Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen, zur Verunsicherung des Patienten und kann sogar zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen“, erzählt Jean-Francois Chenot von der Universität Greifswald, medizinischer Experte für die aktuelle Bertelsmann Studie.
Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass es auch Möglichkeiten gibt unnötige und im schlimmsten Fall gesundheitsschädliche Aufnahmen zu vermeiden. In Kanada erhalten Ärzte beispielsweise keine Vergütung mehr, wenn sich herausstellt, dass unnötige Bildaufnahmen gemacht wurden. In den Niederlanden setzt man auf Zugangsbeschränkungen zu den bildgebenen Geräten.
„Die gründliche körperliche Untersuchung des Patienten und das persönliche Gespräch müssen wieder mehr Gewicht erhalten", sagt Mohn abschließend.