Robert Klatt
Im Darmmikrobiom leben gutartige Bakterien und Krankheitserreger. Eine neue Schluckimpfung, die einen herkömmlichen Impfstoff mit genmanipulierten Mikroorganismen kombiniert, kann bereits angesiedelte Krankheitserreger bekämpfen und neue Infektionen verhindern.
Zürich (Schweiz). Das Darmmikrobiom des Menschen besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Mikroorganismen, darunter auch Krankheitserreger. Diese können bei gesunden Menschen lange unbemerkt im Darm leben. Wenn das Immunsystem geschwächt wird, können sie jedoch Durchfall und andere Krankheiten auslösen. Zudem können sie bei Schäden in der Darmwand in den Blutkreislauf gelangen und Blutvergiftung oder lebensgefährliche Entzündungen von Organen auslösen.
Die Forschung arbeitet deshalb seit Langem an neuen Impfstoffen, die krankheitserregende Bakterien im Darm neutralisieren sollen. Die Entwicklung ist jedoch komplex, weil das Immunsystem des Darms deutlich anders funktioniert als im übrigen Körper.
Wissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) ist es nun gelungen, eine Schluckimpfung gegen gefährliche Darmbakterien zu entwickeln. Diese besteht aus einem herkömmlichen Impfstoff und gutartigen Bakterien, die den Krankheitserregern im Darm die Nahrungsgrundlage nehmen.
Laut der Publikation im Fachmagazin Science konnte die neue Schluckimpfung bei Versuchen mit Mäusen bereits angesiedelte E. coli-Bakterien aushungern und eine Infektion mit Salmonellen verhindern. Die Kombination aus gutartigen Bakterien und der Impfung erzielte eine deutlich bessere Wirkung als nur die Impfung oder nur die gutartigen Bakterien.
Wie die Forscher erklären, müssen die Bakterien der Impfung unter denselben Bedingungen wachsen wie die krankmachenden Bakterien, um im Darm um dieselbe Nahrung zu konkurrieren. Sie haben deshalb per Gentechnik einen Salmonella-Konkurrenzstamm produziert, der die gleichen Nährstoffe verwertet und beim gleichen Säuregrad und Sauerstoffgehalt lebt wie der Krankheitserreger. Prinzipiell könnte ein solcher Konkurrenzstamm aber auch ohne Gentechnik erzeugt werden, wenn man bestehende Bakterienstämme ausgewählt und kombiniert.
„Mit einem Impfstoff können wir krankheitserregenden Bakterien zwar dezimieren, aber um langfristig erfolgreich zu sein, brauchen wir gutartige Mikroorganismen, die die entstandene Nische im Darmökosystem ausfüllen. Es ist wie beim Gärtnern. Wenn man an einer Stelle im Garten Unkraut vermeiden will, muss man dort nach dem Jäten andere Pflanzen setzen. Lässt man den Boden hingegen leer, wächst das Unkraut einfach wieder nach.“
Laut den Wissenschaftlern kann die neue Schluckimpfung den Antibiotikaverbrauch reduzieren, weil sie Krankheitserreger ohne Antibiotika verdrängen kann und auch bei bereits antibiotikaresistenten Bakterien wirkt.
In Zukunft soll der Impfstoff unter anderem vor größeren Operationen eingesetzt werden, um potenziell gefährliche Bakterien im Darm der Patienten zu eliminieren. Außerdem könnte er das Immunsystem vor Fernreisen auf fremde Bakterienstämme vorbereiten.
„Generell gilt: Je besser es uns gelingt, gefährliche und antibiotikaresistente Stämme in der Bevölkerung zu dezimieren, desto besser ist das für die Gesundheit aller Menschen.“
Science, doi: 10.1126/science.adp5011