Robert Klatt
Ein regelmäßiger Schlafmangel führt bei Kindern zu Depressionen, Ängsten, einer geringeren kognitiven Leistung und weiteren Gesundheitsproblemen. Die Schäden scheinen laut der Studie langfristig anzuhalten.
Baltimore (U.S.A.). Der Mensch schwemmt im Schlaf Abfallstoffe aus dem Gehirn aus, rekalibriert seine Synapsen und sortiert Gedächtnisinhalte neu. Ein Schlafmangel kann sich deshalb negativ auf die Gesundheit auswirken und zu einer höher Reizbarkeit, einer schlechteren Konzentrationsfähigkeit und zu einer verfälschten Wahrnehmung sowie zahlreichen anderen Problem führen. Langfristig erhöhen Schlafdefizite zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und führen zum Tod von Gehirnzellen.
Besonders schädlich ist ein Schlafmangel für Kinder, deren Gehirn sich noch entwickelt. Im Grundschulalter sollten Kinder deshalb mindestens neun Stunden pro Nacht schlafen. Bei Erwachsenen ist hingegen eine Schlafdauer von sieben Stunden ausreichend.
Wissenschaftlern der University of Maryland School of Medicine (UMSOM) haben nun untersucht, was mit Kindern passiert, die oft zu kurz schlafen. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin The Lancet Child & Adolescent Health wurden für die Studie Daten von 8.323 Mädchen und Jungen analysiert, die neun bis zehn Jahre alt waren. Wie lange die Kinder pro Nacht schliefen, ermittelten die Forscher um Fan Nils Yang durch eine Befragung der Eltern.
Die Probanden wurden zu Studienbeginn und nach zwei Jahren psychologisch und medizinisch untersucht. Zudem erfolgten Tests der kognitiven Leistungsfähigkeit der Kinder und die Mediziner untersuchten die Hirnanatomie und -funktion mittels der Magnetresonanztomografie. Um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, verglichen die Wissenschaftler jeweils paarweise Kinder mit und ohne ausreichend Schlaf, deren Lebensumstände ansonsten ähnlich waren.
„Wir haben versucht, die beiden Gruppen so gut wie möglich abzugleichen, damit wir besser verstehen, wie sich Schlafmangel langfristig auf das präadoleszente Gehirn auswirkt“, erklärt Ze Wan.
„Wir haben festgestellt, dass Kinder mit weniger als neun Stunden Schlaf pro Nacht weniger graue Hirnsubstanz und ein kleineres Volumen in bestimmten Hirnarealen hatten als Kinder mit genügend Schlaf. Die betroffenen Hirnbereiche sind zuständig für Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Impulskontrolle“, fasst Wang die Ergebnisse zusammen. Betroffen waren vor allem Teile der Großhirnrinde im Schläfenlappen. Zudem beobachteten die Forscher Unterschiede bei den funktionellen Verbindungen der Hirnregionen.
Als Resultat des Schlafmangels kam es bei betroffenen Kindern zu Veränderungen des Verhaltens und einer geringeren kognitiven Leistung. In den Tests zum Gedächtnis, zur Entscheidungsfindung und zur Problemlösungsfähigkeit schnitten die Probanden mit weniger als neun Stunden Schlaf schlechter ab als die Kinder, die neun Stunden oder länger schliefen. Zudem traten bei den Probanden mit unter neun Stunden Schlaf impulsives Verhalten, Depressionen oder Ängste häufiger auf. „Diese Unterschiede waren zudem auch zwei Jahre später noch nachweisbar – das ist ein besorgniserregender Befund, weil es langfristige Schäden bei den Kindern nahelegt, die nicht genügend Schlaf bekommen“, so Wang.
Als Reaktion auf ihre Studie empfehlen die Autoren für Kinder zwischen neun und zwölf tägliche Schlafzeiten von mindestens neun Stunden. „Aber im hektischen Alltag zwischen Schulaufgaben und außerschulischen Aktivitäten kann das schnell mal untergehen“, so Albert Reece. Zudem hat die Nutzung von Smartphones und Computer in den letzten Jahren die Schlafzeit vieler Kinder reduziert.
The Lancet Child & Adolescent Health, doi: 10.1016/S2352-4642(22)00188-2