Dennis L.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Sport bei stark übergewichtigen Menschen weniger effektiv zum Abnehmen beiträgt als bei schlanken Menschen. Das liegt daran, dass der Ruhestoffwechsel stärker reduziert wird, um den zusätzlichen Energieverbrauch beim Sport auszugleichen. Für jede zusätzlich verbrannte Kalorie wird die Hälfte wieder eingespart. Im Extremfall nehmen die Betroffenen sogar zu, anstatt abzunehmen, weil ihr Gesamtumsatz gleich bleibt oder sogar sinkt.
Ottawa (Kanada). Fast jede moderne Diät empfiehlt direkt oder indirekt täglich 500 bis 600 Kilokalorien weniger als der benötigte Gesamtumsatz zu sich zu nehmen - dies soll durch entsprechende Ernährungsumstellung und vermehrte Bewegung erreicht werden. Letzteres erhöht den Energieverbrauch und damit auch den Ruheumsatz, den der Körper zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen benötigt - so zumindest die gängige Theorie. Dazu muss man lediglich anhand seiner Körperwerte den Grundumsatz an Kalorien berechnen.
Aber ist diese Berechnung überhaupt korrekt? Genau das hat sich Vincent Careau von der Universität Ottawa gefragt. Dazu werteten er und seine Kollegen die Daten von 1.750 Männern und Frauen aus, deren Gesamtenergiebedarf und Ruheenergiebedarf durch regelmäßige Labormessungen von Atemgasen sowie mittels isotopisch markiertem Wasser ermittelt wurden.
Auf der Grundlage dieser Daten wollten die Wissenschaftler herausfinden, wie stark der Energieverbrauch durch vermehrte Bewegung den Ruheumsatz wirklich verändert. Dazu gibt es bisher unterschiedliche Theorien. Nach einer Hypothese erhöht sich mit zunehmender Bewegung der Ruheumsatz, weil zum Beispiel zusätzliche Muskeln auch im Ruhezustand mehr Energie verbrauchen. Andere Modelle besagen, dass der Ruheumsatz entweder gleich bleibt oder dadurch sogar abnimmt.
Die Studien zeigten überraschende Ergebnisse. Nur ein Teil der beim Sport zusätzlich verbrannten Kalorien wirkt sich tatsächlich auf den Gesamtstoffwechsel aus. „Im Schnitt manifestieren sich bei einem typischen Menschen nur 72 Prozent der Extrakalorien, die wir durch vermehrte Bewegung verbrauchen, auch im gesamten Energieverbrauch an diesem Tag“, schreiben Careau und seine Kollegen im Fachmagazin Current Biology. Die übrigen 28 Prozent des Kalorienumsatzes werden vollständig abgebaut und tauchen nicht in der Tagesbilanz auf.
Im Labor fand das Team um Careau etwas Überraschendes. Viele der Probanden verbrannten während der zusätzlichen Aktivität erwartungsgemäß mehr Kalorien, der Energieverbrauch sank aber dafür während der Ruhephasen. Mit anderen Worten: Wenn wir uns mehr bewegen, kompensiert der Körper diesen zusätzlichen Energiebedarf, indem er seinen Grundumsatz senkt.
Noch interessanter ist jedoch, dass dieser Ausgleich bei übergewichtigen Menschen zu einem höheren Prozentsatz stattfindet. So verringerte sich bei den übergewichtigen Probanden der Ruheumsatz um fast die Hälfte (49 Prozent) für jede verbrannte Kalorie. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Für jede verbrannte Kalorie, spart der Körper eine halbe Kariere im Ruheumsatz ein.
Menschen, die mehr Körperfett haben, verändern möglicherweise die Art und Weise, wie ihr Körper Kalorien verwertet, um die zusätzliche Nahrungsaufnahme auszugleichen, berichtet die Forscher. Diese Erkenntnis könnte erklären, warum manche Menschen trotz gleicher Aktivität eher zu Fettleibigkeit neigen als andere - und warum es ihnen so oft nicht gelingt, Gewicht zu verlieren. „Es scheint, dass der Stoffwechsel von Menschen mit mehr Körperfett entweder von vornherein den Zusatzverbrauch stärker kompensiert, oder aber, dass diese Kompensation stärker wird, je mehr jemand zunimmt“, so Careau.
Die Ergebnisse bestätigen, dass es für stark fettleibige Menschen wesentlich mühsamer und schwieriger ist, Gewicht zu verlieren als für andere Menschen. „Die Körper von Menschen mit Fettleibigkeit scheinen besonders effektiv Fettreserven zu speichern“, sagt Mitautor John Speakman. „Bei einigen Unglücklichen kann dies sogar dazu führen, dass sie an Gewicht zunehmen, anstatt es zu verlieren, wenn sie mehr Sport treiben.“
Es ist noch unklar, welche Mechanismen genau hinter dieser erhöhten Kompensation stehen. Aber wenn diese Energiekompensation eine genetische Grundlage hat, könnte es in Zukunft möglich sein, Menschen mit Übergewicht daraufhin zu untersuchen, erklären die Forscher abschließend.
Current Biology; doi: 10.1016/j.cub.2021.08.016