Robert Klatt
Bei Menschen mit starkem Übergewicht sinkt der Ruheumsatz durch zusätzliche Bewegung stark. Dies erklärt, wieso viele Betroffene trotz Sport kaum abnehmen können.
Peking (China). In der Medizin herrscht Einigkeit darüber, dass zum gesunden Abnehmen ein Defizit von 500 bis 600 Kalorien optimal ist. Erreicht werden soll dies bei den meisten Diätformen durch eine angepasste Ernährung und Sport. Dieser soll den Energieverbrauch erhöhen und sich mit dem Ruheumsatz des Körpers, die zum Erhalt der Lebensfunktionen nötig ist, addieren.
Bisher existierte in der Wissenschaft eine Hypothese, laut der mehr Sport durch die dabei entstehenden Muskeln auch den Ruheumsatz eines Menschen erhöht. Alternative Modelle gehen hingegen davon aus, dass Sport den Ruheumsatz nicht beeinflusst oder dass dieser sogar sinkt.
Wie stark mehr Bewegung sich tatsächlich den Gesamtenergiebedarf auswirkt, hat nun ein internationales Team aus Wissenschaftler unter Beteiligung der Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) analysiert. Laut der im Fachmagazin Current Biology publizierten Studie werteten die Forscher um Vincent Careau von der University of Ottawa dazu Daten von 1.750 Männern und Frauen aus, deren Ruhe- und Gesamtkalorienumsatz sie anhand der Atemgase und mithilfe von isotopisch markiertem Wasser bestimmten.
Dabei fanden sie heraus, dass die zusätzlich beim Sport verbrauchten Kalorien sich nur teilweise auf den Gesamtumsatz auswirken. „Im Schnitt manifestieren sich bei einem typischen Menschen nur 72 Prozent der Extrakalorien, die wir durch vermehrte Bewegung verbrauchen, auch im gesamten Energieverbrauch an diesem Tag“, erklärt Careau. Die verbleibenden 28 Prozent des Mehrumsatzes tauchen in der Tagesbilanz hingegen nicht auf.
Wie Messungen des Ruheumsatzes zeigen, ist dafür ein gesunkener Energieverbrauch in den Ruhephasen verantwortlich. Der Körper versucht demnach den erhöhten Energiebedarf beim Sport durch einen geringeren Grundumsatz zu kompensieren.
Am stärksten ist diese Kompensation bei Menschen mit starkem Übergewicht. Bei Probanden mit Adipositas reduzierten nur 51 Prozent der beim Sport verbrauchten Kalorien das Tagesenergiebudget. Pro Kalorie, die beim Sport verbraucht wird, reduziert der Körper bei diesen Menschen seinen Ruheumsatz also um eine halbe Kalorie.
„Es scheint, dass der Stoffwechsel von Menschen mit mehr Körperfett entweder von vornherein den Zusatzverbrauch stärker kompensiert, oder aber, dass diese Kompensation stärker wird, je mehr jemand zunimmt“, erklärt Careau. Dies erklärt auch, wieso Menschen mit hohem Übergewicht trotz sportlicher Aktivität oft nur schwer abnehmen können.
„Der Körper von Menschen mit Adipositas ist offenbar besonders effektiv darin, die Fettreserven festzuhalten. Bei einigen Unglücklichen kann das sogar dazu führen, dass sie bei vermehrtem Sport zunehmen statt abzunehmen“ so John Speakman vom Shenzhen Institut für Technologie (SIAT).
Welche Prozesse für die erhöhte Kompensation verantwortlich sind und warum diese mit einem höheren Körperfettanteil zunehmen ist noch unklar. „Wenn diese Energiekompensation aber eine genetische Basis hat, dann könnte es in Zukunft möglich sein, Menschen daraufhin zu untersuchen. Das könnte klären, ob Sport für sie überhaupt eine sinnvolle Ergänzung zur Diät wäre oder sogar eher kontraproduktiv“, konstatieren die Autoren.
Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.08.016