Robert Klatt
Ein hoher Alkoholkonsum löst in Gehirnregionen, die eine zentrale Bedeutung für Entscheidungsprozesse haben, Entzündungen aus. Dies erklärt womöglich das riskante Verhalten und die Impulsivität von Menschen mit Alkoholabhängigkeit.
La Jolla (U.S.A.). Menschen, die unter einer Alkoholabhängigkeit (AUD) leiden, befinden sich in einem endlosen Zyklus, der Veränderungen im Gehirn und dem Verhalten auslöst. AUD ist durch unkontrolliertes, zwanghaftes Trinken gekennzeichnet und umfasst eine Vielzahl von Zuständen, darunter Alkoholmissbrauch, Abhängigkeit und exzessives Trinken.
Forscher haben bereits zahlreiche Verbindungen zwischen dem Immunsystem und AUD entdeckt, viele davon konzentrieren sich auf IL-1β. Menschen mit bestimmten Mutationen im Gen, das für das Molekül IL-1β kodiert, sind etwa anfälliger für die Entwicklung einer AUD. Überdies wurden bei Autopsien von Personen, die an AUD litten, höhere Konzentrationen von IL-1β im Gehirn festgestellt.
Nun haben Forscher von Scripps Research, eines der führenden Institute im Bereich Biomedizin und Chemie, neue Erkenntnisse zur Rolle des Immunsystems im Kontext der Alkoholabhängigkeit (AUD) entdeckt. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Brain, Behavior, and Immunity ist die Konzentrationen des Immun-Signalmoleküls Interleukin 1β im Gehirn von alkoholabhängigen Mäusen stark erhöht. Zudem entdeckten sie, dass der IL-1β-Signalweg bei diesen Mäusen abweichend funktioniert, was zu Entzündungsprozessen in Gehirnregionen führt, die eine zentrale Bedeutung für Entscheidungsprozesse haben.
„Diese entzündlichen Veränderungen im Gehirn könnten einige der riskanten Entscheidungen und Impulsivität erklären, die wir bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit beobachten. Darüber hinaus sind unsere Ergebnisse unglaublich aufregend, da sie auf eine Möglichkeit hinweisen, die Alkoholabhängigkeit mit vorhandenen entzündungshemmenden Medikamenten zu behandeln, die auf den IL-1β-Weg abzielen.“
Das Forscherteam konnte darüber hinaus demonstrieren, dass die IL-1β-Signalübertragung in der alkoholabhängigen Gruppe nicht nur verstärkt, sondern auch grundlegend anders war. Bei Mäusen, die keinem Alkohol ausgesetzt waren, sowie bei Mäusen, die moderate Mengen an Alkohol konsumierten, löste IL-1β einen entzündungshemmenden Signalweg aus. Dies führte im Gegenzug zu einer Verringerung der Konzentration des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA), einem Signalmolekül, das für die Regulierung der neuronalen Aktivität im Gehirn bekannt ist.
Bei den alkoholabhängigen Mäusen jedoch aktivierten die IL-1β-Moleküle proinflammatorische Signalwege und verstärkten die GABA-Konzentration. Dies dürfte vermutlich zu einigen der mit AUD assoziierten Veränderungen in der Gehirnaktivität beitragen. Bemerkenswert ist, dass diese Veränderungen in der IL-1β-Signalübertragung bei den alkoholabhängigen Mäusen sogar während der Alkoholentzugphase anhielten.
Medikamente, die die Aktivität von IL-1β hemmen, sind bereits von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA für die Behandlung von rheumatoider Arthritis und anderen entzündlichen Erkrankungen zugelassen. Nun sind weitere Forschungen erforderlich, um zu klären, ob diese bereits vorhandenen Medikamente auch zur Therapie der Alkoholabhängigkeit geeignet sein könnten.
„Wir planen, diese Studie mit weiteren Untersuchungen zu ergänzen, um genau zu verstehen, wie das gezielte Ansprechen spezifischer Komponenten des IL-1β-Signalwegs zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit nützlich sein könnte.“
Brain, Behavior, and Immunity, doi: 10.1016/j.bbi.2023.02.020