Robert Klatt
Magersucht wird nicht nur durch psychische Probleme, sondern auch durch den Stoffwechsel ausgelöst. Eine wirksame Therapie sollte daher beide Ursachen behandeln.
London (England). Die Wissenschaft ging bisher davon aus, die krankhafte Essstörung Magersucht, die vor allem bei jungen Frauen auftritt, psychische Ursachen hat. Betroffene Personen leiden unter einer gestörten Körperwahrnehmung, die dazu führt, dass sie sich selbst dann als zu dick ansehen, wenn sie bereits unter starkem Untergewicht leiden. Um das aufgrund der Krankheit idealisierte Wunschgewicht zu erreichen, greifen an Anorexia nervosa erkrankte Personen häufig zu Medikamenten wie Abführmitteln oder betreiben Sport im Übermaß. Dies führt dazu, dass keine andere psychiatrische Krankheit so eine so hohe Sterblichkeitsrate verursacht wie Magersucht.
Laut einer Studie, die Wissenschaftler des King’s College London gemeinsam mit Wissenschaftlern der University of North Carolina erstellt haben, spielt neben bekannten Einflussfaktoren wie Stress und Problemen im sozialen Umfeld auch eine genetische Prädisposition eine Rolle bei der Entstehung von Magersucht. Aufgekommen ist diese These schon vor längerer Zeit, als bemerkt wurde, dass Magersucht bei bestimmten Familien und besonders bei Zwillingen vermehrt auftritt.
Die Wissenschaftler um Hunna Watson haben aus diesem Grund 17.000 Magersucht-Patienten untersucht, um herauszufinden, welche Gene verantwortlich für das vermehrte Auftreten der Krankheit sind. Als Kontrollgruppe dienten Daten von 55.000 Menschen, die nicht an Magersucht oder anderen Essstörungen erkrankt waren.
Die Analyse des Erbguts zeigt, dass bei sechs Chromosomen tatsächlich acht verdächtige DNA-Sequenzen auftreten, die bei gesunden Personen nicht zu finden sind. In vorherigen Studien wurden dieselben Regionen im Genom bereits aus Auslöser anderer biologischer Abnormalitäten und Krankheiten wie Depressionen und Schizophrenie identifiziert. Außerdem sind die betroffenen Regionen auch für die Steuerung der körperlichen Aktivität mitverantwortlich, was laut den Wissenschaftlern erklärt „wieso Personen mit Magersucht oft einen übertriebenen Bewegungsdrang besitzen.“
In der im Fachmagazin Nature Genetics publizierten Studie erklären die Wissenschaftler, dass die Gene, die laut ihren Ergebnissen die Magersucht auslösen, auch eine Reihe von Stoffwechselmerkmalen beeinflussen, darunter den Blutzucker, den Fettstoffwechsel und die Körpermaße.
Wie Gerome Breen vom King’s College London erklärt, zeigt die Studie, dass Unterschiede im Stoffwechsel auch zur Krankheitsentstehung beitragen könnten. Metabolische Störungen bei Magersüchtigen wurden zuvor von Ärzten häufig als Folge des Hungerns identifiziert.
Insgesamt deuten die Studienergebnisse daraufhin, dass Magersucht durch eine Kombination von psychischen Problemen und eine vom Erbgut gesteuerten metabolischen Komponente ausgelöst wird. Die Wissenschaftler sprechen sich daher dafür aus, dass Magersucht als „metabolisch-psychiatrische Störung“ rekonzeptualisiert werden sollte. Dies würde auch die Therapie der Krankheit erleichtern, deren Fokus bisher fast ausschließlich auf psychologischen Aspekten lag, da unbekannt war, dass auch des Stoffwechsels von großer Bedeutung ist.
Nature Genetics, doi: 10.1038/s41588