Robert Klatt
Muskelwachstum (Hypertrophie) lässt sich auch ohne Muskelversagen erreichen. Nötig ist lediglich, dass ein bestimmter Reiz durch ausreichend viele Wiederholungen ausgelöst wird.
Lincoln (England). Kraftsport und Bodybuilding befinden sich laut Daten von Statista.com in Deutschland seit einigen Jahren im Aufwind. Innerhalb von zehn Jahren konnten Fitnessstudios ihre Mitgliederanzahl von 6,54 Millionen (Jahr 2009) auf 11,66 Millionen (Jahr 2019) fast verdoppeln. Ein Großteil der Mitglieder möchte laut Umfragen neben seiner allgemeinen Fitness und seiner sportlichen Leistungsfähigkeit durch das regelmäßige Training vor allem die Muskelmasse erhöhen. Welche Trainingsmethoden sich dafür am besten eignen, ist aber auch unter erfahrenen Kraftsportlern umstritten.
„Viel hilft viel“ ist ein Motto, das vor allem im Oldschool-Bodybuilding häufig bei Übungen wie Kreuzheben, Kniebeugen und Bankdrücken verfolgt wird. Forscher der University of Lincoln haben nun zwei Trainingsmethoden miteinander verglichen, um wissenschaftlich zu untersuchen, ob nur hohe Gewichte nahe an der Maximalkraft wirklich zur Zunahme von Muskelmasse führen.
Laut der im Journal of Strength and Conditioning Research publizierten Studie verglichen die Wissenschaftler beide Trainingsmethoden mit 16 bereits trainierten Männern im Durchschnittsalter von 22 Jahren. Zu Beginn wurden die Kraftwerte der Probanden anhand von Bankdrücken, Überkopfdrücken, konventionellem Kreuzheben, Kniebeugen und einem gestreckten Sprung aus dem Stand (Counter Movement Jump) ermittelt.
Anschließend wurden die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt. Ein Teil der Probanden nutzte das herkömmliche prozentuale Training (PBT), die zweite Gruppe das geschwindigkeitsbasierte Training (VBT). Das Training der VBT-Probandengruppe wurde per Echtzeit-Geschwindigkeitsüberwachung beobachtet und anhand der Messwerte angepasst.
Am Ende der Studienphase führten die Probanden das auch zu Beginn absolvierte Training erneut durch. Die Wissenschaftler konnten so eventuelle Kraftveränderungen der Personen erkennen. Es zeigte sich dabei, dass die Probandengruppe, die das geschwindigkeitsbasiertes Training (VBT) nutzte, ihre Leistung stärker steigern konnte als die Probanden, die das prozentuale Training (PBT) nutzten. Die Unterschiede lagen je nach Übung und Person bei ein bis sechs Prozent.
Dr. Harry Dorrell erklärte gegenüber Medical News Today, dass „die geschwindigkeitsbasierte Gruppe im Vergleich zur traditionellen Trainingsmethode deutlich weniger Gewicht anheben musste, um die Verbesserungen der Kraftwerte zu erzielen.“
Die Studie zeigt somit, dass der Kraftzuwachs des prozentualen Trainings (PBT) leicht über dem Kraftzuwachs des traditionellen Trainings liegt. Der eigentliche Vorteil dieser Trainingsmethode liegt laut Dorrell allerdings in der deutlichen Reduzierung des Gewichts und des daraus resultierenden geringen Verletzungsrisikos sowie der kürzeren benötigten Erholungszeiten zwischen zwei Trainingseinheiten.
Neben der Höhe der Gewichte ist es auch umstritten, ob Muskelwachstum (Hypertrophie) nur durch Muskelversagen im Training erreicht werden kann. Wissenschaftler um Saulo Martorelli von University of Brasilia deshalb untersucht, ob der alte „Mythos“ vom Muskelversagen wirklich der Realität entspricht oder ob auch eine niedrigere Trainingsintensität die Muskeln wachsen lässt.
Laut der im European Journal of Translational Myology veröffentlichten Forschungsarbeit nutzten die Wissenschaftler für ihre Studie 89 junge, sportliche Probandinnen. Diese wurden in drei Gruppen unterteilt und absolvierten anschließend für zehn Wochen zweimal pro Woche beidseitige Bizeps-Curls.
Die nach zehn Wochen beobachteten Muskel- und Kraftzuwächse zeigen laut den Studienergebnissen, dass auch ein submaximales Training zu signifikanter Hypertrophie führt. Gruppe 1. und Gruppe 2. Konnten ähnliche Ergebnisse erzielen. Lediglich Gruppe 3. mit der geringsten Intensität fiel deutlich ab.
Die Wissenschaftler konstatieren daher, dass Muskelversagen keine Bedingung für Hypertrophie ist. Stattdessen zeigen die Studienergebnisse, dass eine Reizschwelle überschritten werden muss, um hypertrophische Trainingseffekte auszulösen. Ob dies durch eine hohe Anzahl von Wiederholungen oder durch Muskelversagen geschieht, scheint hingegen egal zu sein.